Blog - Unter vier Augen

Trauer unter Palmen

Trauer unter Palmen

Wie es gelingen kann, auch in schweren Zeiten gut für sich zu sorgen

 

Mallorca, 21.07.2021

Heute vor drei Jahren ist mein Pflegesohn gestorben. Nach kurzer, schwerer Krebserkrankung. Nach acht Monaten Bangen, Hoffen, Leiden, Schmerzen und Verzweiflung.

 

Einen jungen Menschen mit 28 Jahren bis zum Tod zu begleiten, war nicht einfach für mich. Ich beschäftige mich beruflich mit dem Tod, mit Trauer und Verlusten. Damit, was Trauern mit den Menschen macht. Ich begleite Menschen auf dem Weg durch das Land der Trauer, seit vielen Jahren. Ich helfe ihnen, heilsam zu trauern. Ich weiß sehr viel über die Trauer. Genutzt hat mir das in meiner eigenen Trauer  - nichts.


Als mein Pflegesohn beerdigt war, fühlte ich mich leer. Keine Fahrten mehr zur Klinik, kein endloses Warten auf kleine Hoffnungsschimmer, keine weiteren niederschmetternden Prognosen.


Ich fühlte mich einsam, verstummt. Ein bisschen wie mitgestorben. Ich versank in einem dunklen Loch. Trotz sommerlicher Hitze und Sonnenschein, war alles kalt und dunkel in mir. Die Jalousien heruntergelassen. Das Leben ausgesperrt. Sollte die Welt sich doch weiterdrehen. Ohne mich. Ich wollte nach dem Verlust angemessen trauern. Alleine, im Dunkeln.


Nach einigen Tagen überkam mich ein neuer Gedanke. Mein Pflegesohn liebte die Sonne und den Sommer. Er liebte es, baden zu gehen und im Wasser zu toben. Er hätte sicher viel dafür gegeben, in diesem Sommer 2018 das alles noch einmal tun zu können. Er konnte es nicht. Er lag im Hospiz und wartete auf seinen Tod.


Plötzlich fühlte ich mich so schlecht. Ich konnte das alles tun. Ich konnte in der Sonne sitzen und trauern. Ich konnte schwimmen gehen und trauern. Ich konnte auch am Meer sitzen und trauern. Ich konnte es und ich tat es. Ich stand auf, zog die Jalousien hoch, packte meinen Koffer, buchte ein Zimmer in einem kleinen Küstenort in Italien und fuhr los. Sechs Stunden später war ich am Mittelmeer. Während der Fahrt weinte ich die meiste Zeit, teil vor Schmerz um den Verlust, teils aus Dankbarkeit über meinen Entschluss.

 

Ich trauerte bei meiner Ankunft, ich trauerte beim Essen, beim Schwimmen, alleine in der Nacht. Ich trauerte sehr viel, aber ich tat es mit dem Gefühl, das Richtige zu tun. Ich war so froh, dass ich das alles erleben durfte, dass ich auch in meiner Trauer die Sonne und das Meer genießen durfte und konnte.
So habe ich mit diesem schweren Verlust eine sehr wichtige Erkenntnis gewonnen: Mir wurde klar, dass die Trauer ihren Platz in mir hatte, ganz egal wo ich war, egal was ich tat.

 

Warum ich Ihnen das erzähle? Trauer ist (besonders in diesen Tagen) allgegenwärtig, auch auf der schönsten Insel der Welt. Menschen sterben, wir Hinterbliebenen trauern um sie. Trauer ist so wichtig. Sie ist eine Fähigkeit, die uns hilft, mit dem Verlust umzugehen, (im besten Fall) zu integrieren.

 

Leider jedoch sind Tod und Trauer immer noch Tabu-Themen, mit denen niemand gerne konfrontiert wird. Und das, obwohl in dieser Welt nichts sicher ist, außer dem Tod und der Steuer, wie Benjamin Franklin einmal sagte.


Wir alle werden im Laufe unseres Lebens Verluste erleiden. Manchmal können wir uns auf die Trauer vorbereiten, manchmal trifft sie uns wie ein Blitzschlag. Wir dürfen und sollten die Toten beklagen und betrauern. Und es ist wichtig und richtig, dass wir gleichzeitig daran denken weiterzuleben. Uns erlauben, alle die Dinge zu tun, die uns in diesen schweren Zeiten unterstützen und uns gut tun. Es ist wichtig, auf den Moment zu achten, wenn es Zeit wird, die Jalousien hochzuziehen und sich auf den Weg zu machen.

 

Frauen in der Krise

Frauen in der Krise

Warum Friseure manchmal die besseren Therapeuten sind

 

Mallorca, 05.08.2021

Heute war ich beim Friseur. Neue Farbe, ein bisschen Nachschneiden, Föhnen, fertig. Nichts hebt meine Stimmung so schnell wie ein Besuch bei meinen Monsieur le Coiffeur. Ich rede über dies und das, werde mit dem neuesten Klatsch und Tratsch versorgt, natürlich alles hinter vorgehaltener Hand und mit einem Augenzwinkern. Dazu gibt es ein Gläschen Prosecco und schon ist die Welt wieder in Ordnung.


Ich frage mich schon länger, woran das wohl liegen mag. Da ich selber Therapeutin bin, weiß ich, dass ein gutes Gespräch, ein paar aufmunternde Worte sehr hilfreich sein können, um auf andere Gedanken zu kommen. Leider haben wir Therapeuten oft berufsbedingt einen Anspruch an unsere Klienten. Wir wollen dabei helfen, ein Problem zu lösen, einen neuen Blickwinkel zu vermitteln, etwas zu verbessern.

 

Und das ist der Pferdefuß. Mein Friseur liebt mich so, wie ich bin. Ich komme als hässliches Entlein (mit dem Aussehen würde ich mich zu niemand anderem auf der Welt trauen), werde verwöhnt und gehätschelt, um dann als schöner Schwan und voller Selbstbewusstsein den Salon wieder zu verlassen. Toll. Hier kann ich meine Probleme abladen, hier stoße ich auf Verständnis und Mitgefühl, muss nicht reflektieren, keinen Teil der Verantwortung zu mir nehmen. Ich darf auf den Menschen, die mich geärgert haben (wahlweise Partner, Verwandte, Arbeitskollegen), hemmungslos herumhacken. Ich darf schimpfen wie ein Rohrspatz, ungerecht sein und lästern, was das Zeug hält. Ich ernte dafür sogar noch Verständnis und im besten Fall einen Verbündeten, der zu mir steht, komme was da wolle.


Dabei ist es im Grunde ganz gleichgültig, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Vertreter dieser Berufsgruppe handelt. Wichtig ist nur, dass die Basis stimmt. Wer mit meinen Haaren umgehen kann, kommt auch mit dem Rest klar. Und je länger man seinem Friseur treu bleibt, umso inniger wird das Verhältnis. Quasi diametral zu den meisten Ehen und sonstigen Liebesbeziehungen. Es gibt keine Ermüdungserscheinungen, keine Eifersüchteleien. Ganz im Gegenteil. Über die Jahre der Beziehung gelingt es dem Meister seines Faches ganz sanft auf mögliche Veränderungen hinzuweisen, die unseren Typ noch besser unterstützen, uns noch vorteilhafter und strahlender wirken lassen.


Ja, eine neue Frisur kann das Leben verändern. Nicht umsonst ist zu beobachten, dass Frauen nach Trennungen ganz gleich ob gewollt oder gezwungen, einen neuen Look wollen. Wenn man einer deutschen Frauenzeitschrift glauben darf, gibt es sogar „Studien, die beweisen, dass 61% der Frauen sich für eine andere Frisur entscheiden, wenn sie eine Veränderung in ihrem Leben durchmachen.“ Die alten Zöpfe müssen ab, sagt ja schon der Volksmund.

 

So habe ich selber nach der Trennung von meinem Ex-Mann sowohl Farbe als auch Schnitt ziemlich deutlich verändert und zwar unter heftigen Beifallsbekundungen meines Friseurs. Ich fühlte mich mit dem neuen Aussehen wie neugeboren. Das hat mir so gut getan. Hach, ich komme ins Schwärmen. Der Friseur ist einfach in der Lage, uns aufzufangen und zu trösten, wenn unser Herz gebrochen ist, er freut sich mit uns und unterstreicht all unsere Vorteile, wenn ein neuer Mensch unser Herz wieder zum Klopfen bringt. All das macht er (oder sie) mit einem freundlichen Lächeln und ebensolchen Worten. Ich finde, jede von uns, sollte einen solchen Schatz an ihrer Seite haben. Schade, dass es diese wunderbaren und unverzichtbaren Menschen nicht auf Rezept gibt.


Warum ich Ihnen das erzähle? Im Laufe eines Lebens sind wir etlichen Herausforderungen ausgesetzt. Das können z.B. ein Verlust durch Tod, eine belastende Trennung oder Scheidung, ein Konflikt in der Familie sein. Viele davon können wir im Grunde selber sehr gut meistern, vorausgesetzt, wir haben Menschen an unserer Seite, die uns unterstützen, die uns annehmen und mögen, so wie wir sind. Die uns nicht verändern oder optimieren wollen. Das kann der Lebenspartner, ein guter Freund bzw. eine gute Freundin, eine Kollegin oder eben unser Friseur sein. Menschen, mit denen wir auf Augenhöhe kommunizieren, denen wir glauben, wenn sie uns aufbauen und Mut zusprechen. Menschen, die uns nach Verlusten trösten und mit denen wir gleichzeitig unsere Erfolge feiern können.

 

Wir sind Menschen und wir machen Fehler, treffen falsche Entscheidungen, erleben Krisen. Diese dunklen Zeiten gehören genauso zum Leben wie die goldenen. Es ist gut und wichtig zu unterscheiden, wann wir auf unser soziales Netzwerk zurückgreifen sollten, und wann es vielleicht tatsächlich hilfreich (und heilsam) sein kann, einen Profi ins Boot zu holen. Das gilt sowohl für die seelischen Herausforderungen, als auch für die neue Frisur.

 

Freundschaft mit Extras

Freundschaft mit Extras

Die verbindlich unverbindliche Welt von Tinder & Co.

 

Mallorca, 12.08.2021

Als ich vor vielen Jahren das erste Mal von Tinder hörte, war ich so interessiert wie abgeschreckt. Einen Menschen ausschließlich nach seinem Aussehen beurteilen? Unerkannt nach links oder rechts wischen ohne jegliche Konsequenz? Ganz lässig entscheiden über den möglicherweise nächsten Schritt auf dem Weg zu einer… Ja, was eigentlich? Liebesbeziehung, Affäre, Bettgeschichte oder auch Freundschaft mit Extras?

 

Mir erschien diese Möglichkeit, jemanden kennenzulernen, irgendwie falsch. Ich möchte die Stimme eines Menschen hören. Sehen, wie er sich bewegt. Sehen, wie er lacht und vor allem erfahren worüber. Dennoch gibt es im Leben einer Frau Phasen (für Männer gilt natürlich dasselbe), in denen schlichtweg Zeit und Energie fehlen, um die Orte aufzusuchen, an denen man gemeinhin potentielle neue Verehrer finden kann. Und da ich, frisch getrennt, das Gefühl hatte, es wäre jetzt gut, etwas für mein Selbstbewusstsein zu tun, ließ ich mich darauf ein. Warum nicht mal die neuen Errungenschaften der Technik nutzen und online daten.

 

Die ersten Eindrücke waren sehr ernüchternd. Was ist eigentlich das Gegenteil von Schokoladenseite? Die Fotos vieler Männer waren nicht sehr vorteilhaft, die Texte dazu entsprechend. So hatte ich gefühlt schon dünne Haut am Zeigefinger, bevor ich das erste Mal gewillt war, nach rechts zu wischen. Und dann passierte es auch gleich: It’a MATCH! Das war wirklich aufregend. Da gab es also irgendwo einen Mann, der mich auch ansprechend fand, bzw. meine Bilder, mehr wusste er ja noch nicht von mir. Ich war ein bisschen ratlos, was als nächstes von mir erwartet wurde. Sollte ich, ganz Dame warten, bis der Herr sich meldet, oder sollte ich, ganz ich selbst, gleich mal ein freundliches „Hallo, freut mich!“ durch das Internet schicken. Das Problem wurde gelöst durch ein zaghaftes „Hi“ des interessierten Mannes. So schrieben wir also ein paar Mal hin und her, um dann festzustellen, dass wir doch eindeutig zu weit auseinander wohnten, um eine ernsthafte Beziehung zu beginnen. Kurzes, freundliches Geschreibsel, das sehr schnell sein Ende fand. Gut, also weiter. Es gab im Laufe der Zeit weitere kurze, aber auch längere Geplänkel, manche führten gar zu einem Telefonat.


Viele ernsthaftere Kontakte gab es nicht, aber ich beobachtete ein interessantes Phänomen. Scheinbar gehört es zum guten Ton anzumerken, dass es selbstverständlich nicht um sogenannte ONS (für den unerfahrenen Leser: One night stand) geht, was im Übrigen in vielen Fällen schlichtweg gelogen ist. Und dann gibt es da noch diese Aussage, dass man sich aktuell nicht fest binden möchte, dass man auf der Suche sei nach „Freundschaft mit Extras“ oder auch Neudeutsch „Friends with Benefits“. Was soll das eigentlich genau heißen? Man möchte eine sexuelle Beziehung, keinen ONS, sondern einen MNS (many nights stand), aber keine Verpflichtung, keine Bindung, keine Erwartungen oder Ansprüche erfüllen müssen? Großartig. Man sucht also einen Menschen, der alles leisten, aber so gut wie nichts fordern darf.

 

Wenn nun zwei erwachsene Singles genau das suchen und miteinander finden ist das prima. Leider weiß ich aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen, dass dies sehr häufig nur einseitig die Wünsche der Suchenden erfüllt. Und dann sind Beziehungsprobleme, die es per Definition ja gar nicht geben dürfte, vorprogrammiert. Es entsteht ein Hin und Her, raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln und am Ende bleiben zwei frustrierte Menschen übrig, die beide nicht das bekommen haben, was sie eigentlich wollten.

 

Was aber ist das für ein Phänomen? Warum gibt es immer mehr Menschen, die eine Beziehung vermeiden, die keinen Be-zug wollen zu einem anderen Menschen? Auch wenn es etwas klischeehaft wirkt, sind es auch heute noch eher Männer, die zu „Freundschaft mit Extras“ tendieren. Als Therapeutin fällt mir dazu einiges ein: Bindungsängste aufgrund Kindheitserfahrungen mit dominanter Mutter, schwere Beziehungsverletzungen oder Kränkungen durch frühere Partnerinnen, Angst davor, nicht mehr selbstbestimmt leben zu können, um nur einige Beispiele zu nennen. Aus der Bindungstheorie von John Bowlby wissen wir, dass jeder Mensch nach einer emotionalen Bindung strebt. Er stellte fest, dass unser Bedürfnis danach, unser Leben mit einem anderen Menschen zu teilen, bereits in unseren Genen verankert ist. So sei der lebenslange Wunsch nach engen emotionalen Bindungen etwas ganz natürliches. Es könnte also – theoretisch – alles ganz einfach sein. Wären da nicht die unterschiedlichen Bindungstypen: Der sichere, der ängstliche und der vermeidende Beziehungstyp. Ohne hier weiter auf diese Typen eingehen zu können, liegt die Vermutung nahe, dass sich auf diversen Datingplattformen häufig Exemplare der letztgenannten Art tummeln. Um sich selber und dem potentiellen Partner viel Zeit und eventuell Kummer zu ersparen, sollten wir vielleicht neben Alter und der Entfernung noch die Information hinzufügen, mit welchem Bindungstyp wir es hier zu tun haben. Nur um ganz sicher zu sein.

 

Spaß beiseite. Die gute Nachricht ist, dass wir unser Bindungsverhalten nur gelernt haben. D.h. nicht unser Schicksal bestimmt, wie wir in Beziehung gehen, sondern wir sind in der Lage, unser Verhalten wahrzunehmen und anzupassen, wenn wir das wollen. Dazu ist es hilfreich, uns besser kennenzulernen und zu verstehen, was in der Vergangenheit unsere Motivation war, uns so zu verhalten und zu entwickeln. Mit guter Begleitung und etwas Geduld ist es also möglich, selber genau der bindungsfähige, liebevolle Partner zu werden, den man sich wünscht.

 

50plus

50plus und absolut fabelhaft

Eine Hymne an die wunderbaren Frauen meiner Generation

 

Mallorca, 19.08.2021

Ja, ich gestehe, ich gehöre auch dazu und ich frage mich, ob ich ein Loblied auf meine eigene Generation singen darf. Ist das Selbstbeweihräucherung? Möglicherweise ja. Aber ich finde, es ist an der Zeit. Frauen in den Fünfzigern sind wirklich großartig. Und ich weiß, wovon ich spreche. Gerade hier auf Mallorca bin ich schon einigen begegnet. Erfolgreiche Geschäftsfrauen und Mütter. Je nach Lebensplan organisieren sie sich selbst, ihre Familien und / oder ihre Unternehmen. Sei es als Einzelkämpferinnen oder im Team. Sie sind intelligent, selbstbewusst und schön. Sie wissen meistens, was sie wollen und wenn sie es mal nicht wissen, finden sie es heraus. Sie scheuen sich nicht, um Hilfe zu bitten, wenn sie, was selten vorkommt, mal welche brauchen. Sie sind sich ihrer körperlichen Vorzüge bewusst und zeigen sie auch. Und, Männer aufgepasst, auch im Bett wissen sie, was sie wollen, sind wild und leidenschaftlich. Ich könnte noch ewig über die Vorzüge und tollen Eigenschaften dieser Superfrauen weiterschreiben.


Allerdings frage ich mich auch, woran es liegen mag, dass viele dieser tollen Frauen innerhalb von wenigen Augenblicken zu scheuen, zurückhaltenden und stillen Wesen mutieren. Wesen, die so gar nichts mehr zu tun haben mit Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung und Glamour. Plötzlich lassen wir uns herumkommandieren, vergessen unsere Werte. Wir lassen es zu, respektlos behandelt zu werden und passen uns an. Machen uns gar klein, damit bestimmte Menschen in unserem Umfeld größer wirken. Es scheint, als hätten wir vergessen, wer wir sind und was wir können. Die Erklärung für dieses gegensätzliche Verhalten ist so simpel wie verständlich: Wir wollen geliebt werden.


Nahezu jedes Lebewesen ob Mensch oder Tier (abgesehen von einigen Ausnahmen, wie dem Feldhamster, der Schwarzen Witwe und dem sogenannten einsamen Wolf) ist ein soziales Geschöpf und bevorzugt es, in Gesellschaft zu leben. Dies ist entwicklungsgeschichtlich gesehen auch nachvollziehbar. Es war dem Überleben durchaus förderlich, sich wilden Tieren und den sonstigen wirtschaftlichen wie klimatischen Herausforderungen im Verbund zu stellen. Die einen gingen zur Jagd, während die anderen das Feuer hüteten. So weit so übersichtlich. Wann genau aus dem Rudel-Leben dann exklusive Zweierbeziehungen wurden, ist mir nicht bekannt. Ebenso wenig weiß ich, ob Zweierbeziehungen das Modell der Zukunft sein wird. Sicher ist aber, dass das Hormon Oxytozin, dazu beiträgt, dass wir lieben und uns geliebt fühlen. Dieses sogenannte Bindungs-Hormon sorgt auch dafür, dass weibliche Wesen (wenn alles gut läuft) nach der Geburt dieses kleine, runzelige, verschmierte und schreiende Wesen umgehend in ihr Herz schließen und der Mutterinstinkt erwacht. An dieser Stelle sei angemerkt, dass Oxytocin uns auch die Sinne vernebeln, uns alles durch die rosarote Brille sehen lassen kann, wenn wir verliebt sind.


Für den Erhalt der Art ist es in den meisten Fällen auch heute immer noch hilfreich, sich die Aufgaben Pflege und Erziehung von Kindern im Rahmen einer Familie zu teilen. Alleinerziehende wissen ein Lied davon zu singen, was es heißt, alles alleine schaffen zu müssen. Übrigens waren laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2019 rund 2,2 Millionen Mütter und etwa 407.000 Väter alleinerziehend in Deutschland.


Auch wenn wir nicht alle Kinder haben bzw. diese irgendwann das Nest verlassen und wir uns wieder um uns kümmern können (bzw. dürfen oder müssen, je nach weiterer Lebenssituation und Hobbies), bleibt der Wunsch nach Zugehörigkeit. Nach Liebe, Verständnis und Fürsorge für uns und andere. Und dafür sind wir bereit viel zu tun. Mitunter sehr viel.


Was mich wieder an den Anfang meiner Geschichte bringt. Die Klassefrauen 50plus. Diese haben entweder die Herausforderung, Kinder zu erziehen bereits abgeschlossen oder sind aus unterschiedlichen Gründen gewollt oder ungewollt kinderlos durchs Leben gekommen. Wir alle aber haben es bis hierher geschafft, haben mehr als 50 Jahre gelebten Lebens hinter uns. Einige von uns leben in glücklichen und sonstigen Beziehungen, in erster, zweiter oder dritter Ehe. Andere sehen sich in der Situation, in Liebesdingen noch einmal neu durchstarten zu können.


Dabei dürfen wir in jedem Fall tolle, selbstbewusste Frauen bleiben – oder werden. Sicher ist es wichtig und richtig, Kompromisse zu schließen, um gemeinsam klar zu kommen. Es ist aber nicht notwendig, uns klein zu machen, zu akzeptieren, was uns gar nicht gefällt oder gut tut. Wir müssen auch nicht in Konkurrenz treten mit Frauen, die jünger oder faltenfreier sind. Für die Hagelschaden (es kommt sowieso nur auf das Licht an!) und Winkefleisch lediglich vage, düstere Bedrohungen in ferner Zukunft sind. Wir dürfen uns Partner gönnen, die unseren Wert erkennen, die verstehen, dass sie mit uns den Hauptgewinn gezogen haben.


Es geht jetzt um uns. Wir haben die Chance, unser Leben zu überdenken, uns neu zu erfinden und Pläne zu machen für die zweite Hälfte unseres Lebens. Los geht’s, Ihr fabelhaften Frauen!

 

 

 

 

Fast jedem Ende wohnt ein Zauber inne

Fast jedem Ende wohnt ein Zauber inne

Was für die Raupe das Ende ist, ist für den Schmetterling der Beginn von allem

 

Mallorca, 26.08.2021

Diese Woche schreibe ich über ein sehr privates Thema, das mich auch heute noch, nach mehr als sieben Jahren, sehr bewegt. Ich schreibe über die größte Krise, die ich bisher in meinem Leben überwunden habe. Ich schreibe darüber, um anderen Menschen, die jederzeit, überall auf der Welt ähnliches erleben und durchleben müssen, Mut zu machen und zuzurufen: Du kannst es schaffen! Es ist nicht leicht, es kostet viel Kraft und Nerven, es braucht Durchhaltevermögen und Geduld, aber es ist zu schaffen.

 

Ich wurde verlassen. Betrogen und belogen und verlassen. Nach 13 Jahre Ehe. Aus heiterem Himmel. So zumindest habe ich es viele Jahre lang beschrieben. Heute formuliere ich es so: Ich wurde verlassen, mein Ex-Mann hatte damals eine Außenbeziehung und konnte es mir nicht sagen. Nach 13 Jahren Ehe, die schon seit längerer Zeit nicht mehr bereichernd und liebevoll, sondern allenfalls funktional war. Und es gab deutliche Anzeichen. Und, sein Weggehen hat mir Türen geöffnet für ein Leben, das nur durch die Trennung möglich werden konnte.

 

Während ich dies schreibe, sitze ich in meinem Wohnzimmer und schaue auf’s Meer, heute eher graublau als türkis, fast im gleichen Ton wie der Himmel, der wohl immer noch voller Saharastaub ist. Es ist sehr warm und die Klimaanlage summt im Hintergrund. Ich lebe jetzt auf der schönsten Insel der Welt, habe meine Praxis hier, kann meine Klienten in Deutschland weiterhin online betreuen und fühle mich angekommen. Angekommen in einem Leben, das ich mir so nicht mal in meinen schönsten Träumen hätte vorstellen können.

 

Sicher, bis dahin war es ein langer Weg, aber heute bin ich meinem Ex-Mann unendlich dankbar, dass er den Mut hatte, zu gehen und so für uns beide ein besseres Leben möglich gemacht hat. Als er mir damals, an einem Sonntag nach dem Frühstück, mitteilte, dass er mich verlassen will, sich in eine andere Frau verliebt hatte, brach von einer Sekunde zur anderen meine Welt zusammen.

 

Ich hatte mir so sehr eine stabile Ehe gewünscht, liebevoll und auf Vertrauen basierend. Wollte, dass es für immer hält. Wir hatten zu Beginn wirklich beide daran geglaubt, dass wir es schaffen würden, über Probleme zu reden und sie gemeinsam zu lösen. Bis, dass der Tod uns scheidet… Wir haben es nicht geschafft, ich hatte es nicht geschafft. Zumindest fühlte es sich für mich so an. Ich hatte ihn verloren an eine andere Frau. Ich fühlte mich betrogen von meinem Ex-Mann, dieser Frau, vom Schicksal. Ich habe mich so geschämt, dass ich mich eine Zeitlang nicht mehr aus dem Haus getraut habe. Ich glaubte, jeder Mensch würde es mir ansehen, dass ich gescheitert war. Dass ich meinem Ex-Mann keine gute Ehefrau war und er mich verlassen hat. Es war furchtbar für mich.

 

Ich bin von Natur aus eine Macherin, eine Problemlöserin, aber in dieser Situation war ich vollkommen überfordert. Ich hatte keinen Plan, keine Lösungsstrategien. Es schien, als sei ich am Ende, sei mein Leben am Ende. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben Ängste. Hatte Angst davor alleine zu sein, meine Freunde und meine Existenz zu verlieren. Ich hatte Angst, mein Haus, meinen Garten, meine Tiere zu verlieren. Ich hatte das Gefühl, niemand mehr zu sein. Ich weinte viel und schlief und aß wenig. Innerhalb kürzester Zeit verlor ich über 10 Kilogramm Gewicht und erkannte mich kaum noch im Spiegel.

 

Als ich endlich soweit war, mir bei einer Therapeutin Hilfe zu holen, formulierte ich mein Therapieziel damit, mehr als einen Tag lang nicht weinen zu müssen. Schon das erschien mir damals nahezu unerreichbar. Wir besprachen, wie es weitergehen sollte. Sie empfahl über die Therapie hinaus dringend einen Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik, um wieder auf die Beine zu kommen. Da ich allerdings gerade kurz vor der Trennung begonnen hatte, meine Praxiseröffnung vorzubereiten, schien mir ein Klinikaufenthalt nicht besonders dienlich.

 

Ich wollte mich lieber auf die Arbeit konzentrieren und nach vorne schauen. Und das tat ich auch. Ich arbeitete jede Minute und eröffnete meine Praxis wie geplant. Ich habe mich oft total überfordert, aber es schien mir der richtige Weg zu sein. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, wäre es sehr hilfreich gewesen, mir für einige Zeit einen Klinikaufenthalt zu gönnen. Vieles wäre dadurch sicher einfacher gewesen und ich hätte Zusammenhänge eher verstanden. Aber ich biss die Zähne zusammen und machte weiter. Ich hatte sehr gute Freundinnen, denen ich heute noch dankbar bin für ihre Unterstützung und ich hatte eine hervorragende Traumatherapeutin, die mir geholfen hat, mein Bindungstrauma zu integrieren, das im übrigen nicht aus der Trennung resultierte, sondern seinen Ursprung in meiner Familiengeschichte hat. Ich habe gelernt, dass viele Trennungen zu vermeiden wären, könnten wir uns unsere Bindungsmuster nur bewusst machen (ich erzählte Ihnen letzte Woche davon).


Wenn Sie sich nun fragen, ob ich diese Krise ganz und gar überwunden habe, so kann ich sagen: „Ja, das habe ich.“ Aber einige Narben sind geblieben und dieses Erleben von Verlust, Scheitern und wieder zu sich Zurückfinden hat auch Einfluss genommen auf meine Persönlichkeit und meine therapeutische Arbeit. Ich spreche heute aus Erfahrung, wenn ich Paare oder Einzelpersonen bei anstehenden Trennungen berate und begleite.

 

Durch meine eigene Trennung ist glücklicherweise möglich geworden, was nun Realität ist: Mein Leben und Arbeiten auf dieser Insel mit neuem Selbstbewusstsein und neuen Erkenntnissen über mich, mein erlerntes Bindungsverhalten und die therapeutischen Möglichkeiten, damit heilsam umzugehen. Ich habe die Therapiemethode, die mir so geholfen hat, selber erlernt und freue mich, wenn ich heute Menschen (Frauen wie Männern) dabei helfen kann, bei oder nach Trennungen zu verstehen, was da passiert und aufzuzeigen, dass das Ende der Beziehung oder Ehe tatsächlich auch der Beginn von etwas wunderbarem Neuen sein kann.

 

 

Schlechte Laune oder frisch verliebt

Schlechte Laune oder frisch verliebt

Wie entstehen eigentlich Gefühle und was habe ich damit zu tun?

 

Mallorca, 02.09.2021


Ich starte den Tag mit einem Blick in den Himmel. Meistens ist er blau oder noch grau, wenn ich früher raus muss. Ich recke und strecke mich und überlege kurz, ob ich noch einmal für fünf Minuten liegen bleibe oder den Wecker für heute endgültig abschalte. Während ich mich so in den Tag gleiten lasse, überprüfe ich meine Gefühlslage. Ich überlege, was der Tag mir wohl bringen wird, freue mich auf schöne Momente oder versuche mich zu motivieren, wenn ich herausfordernde Situationen erwarte. Meistens freue ich mich auf den Tag, auf meine Klienten, Verabredungen zum Mittagessen oder abendliche Veranstaltungen. Alles läuft mehr oder weniger nach Wunsch, die Stimmung ist gut.
Manchmal jedoch erwache ich und habe schlechte Laune, und zwar noch bevor der Tag die geringste Chance hatte, mir etwas Erfreuliches zu bieten. Blauer oder grauer Himmel ist gleichgültig. Im Zweifel wird es viel zu heiß oder ich werde frieren. Nichts scheint zu gelingen. Das Wasser in der Dusche bleibt kalt oder erhitzt sich innerhalb von Sekunden auf eine Temperatur, mit der man Eier kochen könnte. Die Haare machen, was sie wollen, selbst ein Pferdeschwanz wird zur Herausforderung und macht seinem Namen alle Ehre. Das Gesicht im Spiegel scheint im besten Fall meiner älteren Schwester zu gehören. Kurzum nichts klappt. Dabei war zunächst ja gar nichts passiert, außer, dass ich schon mit entsprechender Laune erwacht bin. Ich vermute, Sie kennen diese Tage.
Nun lade ich Sie ein zu einem kleinen Gedankenexperiment. Gleiche Situation wie eben beschrieben. Wir stellen uns vor, dieses Mal bin ich frisch verliebt. Ganz frisch glücklich verliebt. Wie wird der Tag wohl beginnen? Das Wetter ist gleichgültig, weil die Sonne in mir scheint. Eine zu kalte Dusche ist einfach erfrischend, eine zu heiße erweckt die Lebensgeister. Die Haare sind einfach sehr bewegt und drücken meine Natürlichkeit aus. Aus dem Spiegel strahle ich mich glücklich lächelnd an. Falten sehe ich heute verbindlich keine. Der Tag läuft, um mich herum lauter freundliche Menschen. Und der Drängler, der mir an anderen Tagen (siehe oben) den Blutdruck in die Höhe getrieben hätte, ist heute nur ein Mitmensch, der es eben etwas eiliger hat. Konnten Sie es sich vorstellen und stimmen Sie mir zu, dass es einen Unterschied macht, mit welcher Grundstimmung wir in den Tag gehen?
Nun werden Sie zu Recht sagen, dass man ja nicht jeden Tag frisch verliebt sein kann (das wäre ja auch nicht auszuhalten) und es einfach Zeiten gibt, die schwer und herausfordernd oder einfach nur nervig sind. Und, dass man doch recht wenig dazu beitragen kann, wie die Umstände sind und man sich eben dementsprechend fühlt. Sie haben Recht. Umstände sind immer. Und oft können wir diese auch nur bedingt beeinflussen. Aber bestimmen denn wirklich die Umstände, wie wir uns fühlen? Oder kann man angenehme Gefühle, wie z.B. Verliebtsein reproduzieren, ohne „wirklich“ verliebt zu sein?
Ich bin dieser Frage nachgegangen. Dazu kam mir eine wundervolle Erfahrung von Verliebtsein wieder in den Sinn. Es ist schon viele Jahre her, es war Herbst, und ich hatte einen fabelhaften Mann kennengelernt. Wir schwebten beide im siebten Himmel. Kurz nach dem Kennenlernen musste ich beruflich verreisen und es brach uns beiden fast das Herz, als ich mich verabschiedete und losfuhr. Ich lebte zu der Zeit im Ruhrgebiet und musste nach Brandenburg, eine halbe Weltreise also. Es gab damals noch keine Smartphones und ich hatte ein Autotelefon, das zu Recht den Namen „Knochen“ trug. Telefonieren war teuer und das Mobilnetz noch sehr ausbaufähig. Als ich am Morgen nach meiner Ankunft ins Auto stieg, um zu meinem Termin zu fahren, war es kalt und die feuchten Wiesen waren von Raureif überzogen. Die Sonne strahlte vom Himmel und verwandelte die Wiesen und Felder auf meinem Weg in ein glitzerndes Meer. Ich wählte die Nummer meiner Mailbox und da war sie: Die Stimme meines Liebsten, der mir versicherte, wie sehr er mich vermisse und dass er so glücklich sei, mich zu kennen und lieben zu dürfen. Er wünschte mir einen schönen Tag und sagte, dass er sich schon jetzt auf meine Rückkehr freue. Wow. Ich glaube, ein Kilo Zitronen hätte nicht gereicht, um mir dieses Lächeln aus dem Gesicht zu nehmen. Ich war total glücklich und verliebt. Wann immer ich an diese Szene denke und auch jetzt, während ich davon schreibe, gehen meine Mundwinkel hoch, ich sehe die Bilder wieder vor mir, das Glitzern der Felder und die strahlende Sonne und ich fühle wieder dieses Verliebtsein-Gefühl. Herrlich!
Und dass, obwohl ich hier sitze, diese Kolumne tippe und gerade alles andere als verliebt bin. Trotzdem und völlig unabhängig davon, kann ich dieses wunderbare Gefühl von damals immer und immer wieder hervorholen oder neu entstehen lassen in mir. Und Sie können das auch. Vielleicht haben Sie Lust, an Ihre schönste Erinnerung von Verliebtsein zu denken, sich vorzustellen, was Sie damals gesehen, gehört und gefühlt haben. Und sollten Sie so eine Erfahrung noch nicht kennen, stellen Sie sich einfach eine vor. Dass das funktioniert, kennen Sie aus Ihren Träumen. Wie wäre es sonst möglich, dass wir, während wir wohlbehütet im Bett liegen, Angst haben und schwitzen, weil uns ein Albtraum quält?
Und wenn Sie nun in Ihre schönste Erinnerung, oder die Vorstellung davon, eingetaucht sind, wie geht es Ihnen da? Und können Sie sich vorstellen, dass es einen Unterschied für den Start in den Tag macht, wenn Sie morgens im Bett als Erstes an diesen schönen Moment denken? Als Hypnosetherapeutin nutze ich dieses Phänomen, um z.B. sehr gestressten Menschen zu helfen, in Trance an kraftspendende, erholsame Orte zu reisen. Oder sich an Entspannung und Ruhe zu erinnern. An Zeiten, in denen alles gut und friedlich war. An Zeiten, der Schmerzfreiheit und des Glücks. Es kann unseren Blick und unsere Haltung auf das Leben verändern, wenn wir die Erfahrung machen, dass Gefühle in uns entstehen. Wir sind dann, ganz unabhängig von den Umständen, in der Lage, dazu beizutragen, dass wir uns gut und entspannt fühlen oder eben wie frisch verliebt.

 

Randa

Bestellungen ans Universum

Warum manche Menschen immer einen Parkplatz finden

Die schlechte Nachricht gleich vorweg: Ich glaube nicht daran, dass wir mit Bestellungen ans Universum besser durchs Leben kommen. Und seien sie noch so konkret und exakt formuliert. Wenn das möglich wäre, gäbe es keine Kriege und Hungersnöte auf der Welt, ich hätte sie alle wegbestellt. Und dieser kugelige Virus hätte längst wie die kleinen Geister in Computerspielen die Farbe gewechselt und wäre mit einem leisen „Plopp“ explodiert, ohne dabei Schaden anzurichten. Alle meine Lieben würden ewig leben, und zwar gesund und glücklich. Alle Kinder dieser Welt hätten wunderbare Eltern, die sie mit Respekt und Liebe durchs Leben begleiten. Die Klimaforscher hätten Lösungen und könnten sie auch umsetzen. Es gäbe kein Tierleid mehr und wir hätten für tödliche Krankheiten wirksame Medizin ohne Nebenwirkungen. Die Finanz- und Wirtschaftssysteme der Welt wären fair und Armut wäre nur noch ein Wort aus ferner Vergangenheit. Ach ja, und ich hätte gemeinsam mit dem Liebsten meinen Platz gefunden, ein Haus mit großer Terrasse auf der wir sowohl Sonnenauf- wie untergang genießen können, Meerblick, zwei Schlafzimmer, ein Büro, zwei Bäder, Pool, Garage, Heizung, Klima, Kamin. Natürlich dürften wir eine Katze oder einen kleinen Hund halten und das Ganze für 1000 EUR und maximal zwanzig Minuten entfernt von der Palma Clinic. Angebote jederzeit gerne an mich.

 

Perfekte Welt. Oder auch nicht. Sicher würde ich einige sehr wichtige Wünsche vergessen. Das wäre dann nicht gut, hätte evtl. katastrophale Auswirkungen. Die Verantwortung wäre nicht auszuhalten. Also versuche ich es lieber anders. Ich arbeite daran, meine Bestellungen selber zu erfüllen. Ich versuche, soweit ich kann, ethisch korrekt zu leben. Das klappt leider nicht immer. Und ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich unnötigerweise mit dem Auto zum Einkaufen fahre, anstatt den Bus zu nehmen. Dafür lebe ich weitestgehend vegetarisch, esse nur ab und zu etwas Fisch und achte darauf, regionale Produkte zu kaufen. Ich bringe Insekten in einem Glas nach draußen, die meisten jedenfalls. Bei den Mücken halte ich es mit dem Dalai Lama, der einmal darauf angesprochen, wie er mit diesen umgehe, in schallendes Gelächter ausbrach und sagte: „Bei diesen Tieren verliere ich die Geduld.“

 

Ich versuche, mit meinen Mitmenschen respektvoll und fair umzugehen, was mir mal mehr, mal weniger gut gelingt. Ich glaube, wenn wir alle dazu beitragen, und zwar jeder auf seine Art, können wir die Welt zu einem Ort machen, der unseren Wunschvorstellungen deutlich näher kommt.

 

Aber wie ist es nun mit persönlichen Herausforderungen, mit Krankheiten, ganz gleich, ob sie die Psyche oder den Körper betreffen? Es stellt sich ohnehin oft die Frage, wo eine Krankheit ihren Ursprung hat. Führen z.B. chronische Schmerzen zu Depressionen oder erhöhen Depressionen deutlich das Schmerzempfinden? Nach einem Bericht des Bayerischen Rundfunks aus 2019  und einem Interview mit Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Christian Schubert M. Sc. von der Medizinischen Universität Innsbruck, „versucht die Psychoneuroimmunologie (PNI) beispielsweise schon seit 40 Jahren den Zusammenhang von Geist und Körper mit Laborfakten zu untermauern. Die PNI erforscht, wo die Schnittstellen von Gehirn und Immunsystem liegen und auf welchem Weg z.B. Stress unseren Körper beeinflusst.“ Dr. Schubert sagt: „Bei jeder körperlichen Erkrankung spielt ausnahmslos auch die Psyche eine Rolle.“

 

Das ist aus meiner Sicht gleichzeitig eine gute, wie auch eine schlechte Nachricht. Gut ist, dass wir durch unsere mentale Haltung, Gefühle und Gedanken Einfluss nehmen können auf unseren Körper und seine Gesundheit oder die Fähigkeit, mit Herausforderungen umzugehen. Das machen wir uns auch in der Hypnosetherapie zunutze, in dem wir Klienten motivieren, sich vorzustellen, gesund und schmerzfrei zu sein. Ein eindrückliches Beispiel ist auch der Klient, der die blutzuführenden Gefäße, die seinen inoperablen Lebertumor versorgten, in seiner Vorstellung vertrocknen ließ und so das Wachstum nahezu stoppen konnte.

 

Aber ich sehe auch die Gefahr, dass wir uns selber verantwortlich, ja sogar schuldig fühlen, wenn wir krank werden und leiden. Da kommt auch die Idee der Bestellungen ans Universum wieder ins Spiel. „Bestell Dir doch einfach Gesundheit! Du musst es nur richtig machen.“ Ich habe solche Sätze schon sehr häufig von meinen Klienten gehört. Gerade sehr schwer Erkrankte werden von solchen Ideen oft eher noch kränker und hoffnungsloser. Und es macht mich sehr ärgerlich, dass es immer noch „Freunde“ gibt, die ihren kranken Mitmenschen solche „Weisheiten“ an den Kopf knallen. Hierzu sei angemerkt, dass selbst ausgewiesene Experten in Sachen „Du musst es dir nur richtig wünschen” zum Teil selbst jung an Krebs starben und Partner samt Nachwuchs zurücklassen mussten.

 

Ich glaube, wir vergessen manchmal bei all den Ideen davon, wie weit wir unser Leben und unsere Gesundheit selber bestimmen, dass es etwas Größeres gibt, wie auch immer das heißen mag. Die einen nennen es Gott oder Allah oder Jahwe. Die Hindus sprechen von Shiva und seinen Kollegen. Manche glauben an die Natur, die Quelle oder nennen es Existenz. Man könnte es auch schlicht Schicksal nennen. Ich habe keine Ahnung. Was ich glaube ist, dass wir nur einen bedingten Einfluss auf das Ganze haben. Wir können nur unser Bestes geben und darauf vertrauen, dass das Richtige geschieht, um ein gutes Leben für uns und unsere Umwelt zu ermöglichen.

 

Und wenn wir beim nächsten Besuch in Palma mal wieder der Idee verfallen, wir könnten es tatsächlich beeinflussen, wer wann wo gerade wegfährt, um für uns einen Parkplatz freizumachen, dann soll uns das gestattet sein. Ich halte es mit der Idee „Einer reicht, uno basta!“

 

Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau

Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau

Bin ich nun ein Mensch oder eine Mensch*in?

Ich vermute, meine heutige Kolumne wird ein wenig polarisieren. Eventuell auch ein wenig mehr. Es geht hier aber nur um meine ganz persönliche Meinung, es geht nicht um richtig oder falsch. Dies vorweggeschickt, möchte ich gerne meinen Unmut äußern über das Gendern. Und zwar Gendern im Sinne von geschlechterbewusstem Sprachgebrauch. Beim Lesen des letzten Satzes bemerke ich direkt ein Ziehen im Unterkiefer und beginnenden Zahnschmerz.

 

Mich hat ja mal wieder niemand gefragt, und das obwohl ich doch zu den schützenswerten Wesen gehöre, die anscheinend dringend einer Anpassung der deutschen Sprache bedürfen, um sich besser, anerkannter, sicherer oder in der Gesellschaft akzeptierter fühlen zu können. Dabei finde ich gendern blöd, überflüssig und total lästig. Ich kann nämlich unterscheiden zwischen dem natürlichen Geschlecht (Sexus) und dem grammatischen Geschlecht (Genus). Für alle geneigten Leser werde ich mal versuchen, diesen Unterschied zu erklären.  Ich beziehe mich dabei auf einen Leserbrief, der vor einiger Zeit in der Frankfurter Allgemeine Zeitung abgedruckt wurde. Dort hieß es wie folgt: „(…) Erstens nämlich gibt es drei Genusformen (maskulin, feminin, neutrum), aber nur zwei biologische Geschlechter (männlich und weiblich). Zweitens wird das Genus auch für Objekte ohne jede erkennbare Parallele zum natürlichen Geschlecht verwendet: der Herd, die Straße oder das Buch. Auch dass der Busen maskulin, die Eichel feminin und das Glied neutrum sind, beruht ganz offensichtlich nicht auf irgendwelchen biologischen Hintergründen. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel mit „der Leser“ oder „der Kunde“.

 

Während der Genus übergeschlechtlich verwendet wird (der Gast, der Mensch, die Person, die Waise, das Kind, das Individuum), stellt der Sexus eine weitere Aufsplitterung in männlich und weiblich dar. Wir haben es hier mit etwas zu tun, was man in der Sprachwissenschaft "Synonymie" nennt. Synonyme sind gleichlautende Wörter, die aber unterschiedliche Dinge meinen. Ein "Flügel" kann beispielsweise der Teil eines Vogels sein, der Teil einer Fußballmannschaft oder ein Klavier. Manchmal sind diese Synonyme nicht so leicht auseinanderzuhalten, und da kommt es dann zu Missverständnissen (…). "Kunden" kann nämlich ebenfalls zweierlei bedeuten: "Menschen, die einkaufen" ebenso wie "Männer, die einkaufen". Indem Sprachkritiker*innen behaupten, mit "Kunden" seien nur Männer gemeint, erzeugen sie den Eindruck, Frauen würden sprachlich unterdrückt. Sie richten sich nicht danach, was Menschen meinen, wenn sie etwas sagen, sondern danach, was sie ihnen unterstellen, was sie meinen: "Sie reden ja nur von den Männern! Uns Frauen lassen Sie mal wieder unter den Tisch fallen!"

Der Leserbrief geht dann noch wunderbar weiter und erklärt, dass „auch der Artikel im Singular mit dem grammatischen Geschlecht für den Unterschied zwischen der (frohen) Kunde und dem Kunden sowie der Leiter (Stiege) und dem Leiter (Chef) sorgt“ und, dass "der Kunde" männlich oder weiblich sein kann - unabhängig von seinem grammatischen Geschlecht. Ähnlich verhält es sich mit "die Katze": Die weibliche Form steht als Oberbegriff sowohl für das weibliche Tier als auch für das männliche, das wir, wenn wir es genauer spezifizieren möchten, als "der Kater" bezeichnen (so wie "der Kunde", wenn weiblich, zu "die Kundin" wird). Zu behaupten mit "der Kunde" seien nur Männer gemeint, allein weil "der" davorsteht, ist grammatisch ungefähr so durchdacht wie es die Argumentation ist, mit "die Kunden" seien offenbar nur Frauen gemeint, weil "die" davorsteht.

 

Das habe ich verstanden. So drückt natürlich in den Beispielen keiner der beiden Artikel den Sexus (das natürliche Geschlecht) aus. „Die“ ist lediglich die  Pluralform und „der“ bezieht sich auf den Genus (das grammatikalische Geschlecht).

Besonders charmant finde ich den Schluss, in dem der offenbar männliche Leserbriefschreiber erwähnt, dass er öfter mal „die Vertretung“ für einen Kollegen ist“, was für ihn kein Problem darstellt, da er ja den oben näher erklärten Unterschied kennt zwischen Genus und Sexus kennt, er aber ein Mann sei, „der allen Frauen mit Respekt auf Augenhöhe gerne begegnet (…)“.

 

Ja, dieser Leserbrief hat mich beeindruckt und auf sprachwissenschaftliche Füße gestellt, was ich gefühlsmäßig schon geahnt hatte. Wir Frauen werden nicht durch die Sprache entwertet, kleingehalten oder geringschätzt. Das schaffen ganz leicht Arbeitgeber, die Frauen bis heute weniger zahlen als deren männlichen Kollegen mit gleicher Qualifikation, das schaffen die analogen und vor allem die digitalen Medien mit ihrer völlig unrealistischen Darstellung von Frauenkörpern und deren Maßen. Das schafft auch die Modeindustrie, die durch die Modelle und Größenangaben Frauen mit einer ganz normalen Figur das Gefühl vermittelt, dick und unförmig zu sein. Und schließlich schaffen wir es auch selbst, wenn wir das Spiel mitspielen, uns auf die tausendste Diät einlassen und uns auf unsere körperlichen Besonderheiten reduzieren, kleinlaut sind oder gar ganz verstummen.

 

Es ist an der Zeit, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln oder wiederzuerlangen. Stolz zu sein darüber, wer wir sind und was wir sind. Zu Erkennen was es bedeutet, eine Frau zu sein und vor allem anzuerkennen, was wir bisher schon erreicht und überstanden haben, ganz gleich ob im Berufsleben, bei der Erziehung der Kinder oder Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger. Dafür sollten wir alle Möglichkeiten nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Wir können uns mit Freundinnen austauschen, uns digital vernetzen, Frauengruppen besuchen, Beratung oder Coaching in Anspruch nehmen und darüber reden, was und wie wir wirklich sein, wie wir uns erleben wollen. Im Sinne der Gleichberechtigung ist es mir noch wichtig zu sagen, dass auch Männer immer häufiger mit ihrer Rolle zu kämpfen haben und überfordert bzw. irritiert sind von dem, was die Gesellschaft und wir Frauen von ihnen erwarten. Auch für Männer, die bis hierher gelesen haben, gilt daher das zuvor Gesagte. Natürlich auch für alle anderen.

 

Und dann ist es auch noch wichtig, nicht zu vergessen, dass wir alle, gleich welchen Geschlechts, Menschen sind mit Bedürfnissen, Gefühlen, Wünschen und Träumen und wir es in der Hand haben, uns mit Wertschätzung zu begegnen und respektvoll miteinander umzugehen.

 

Das Leben ist zu kurz für später

Das Leben ist zu kurz für später

Was schwere Krisen, Verluste und Katastrophen uns lehren können

Ich hatte gestern einen denkwürdig merkwürdigen Abend und bin heute Morgen sehr nachdenklich aufgewacht, habe mich direkt (noch vor dem ersten Patienten) an den Schreibtisch gesetzt und angefangen zu schreiben. Wenn Ihnen meine Zeilen heute zu schwer verdaulich erscheinen, lesen Sie einfach nur den letzten Absatz.

 

In diesem September vor 20 Jahren geschah etwas, das mein Vertrauen in das Gute im Menschen nachhaltig erschütterte. Am 11. September 2001 flogen zwei Flugzeuge absichtlich in das World Trade Center in New York und verursachten den Tod von mehr als 3000 Menschen, brachten unzähligen Angehörigen, Ehepartnern, Kindern, Eltern und Freunden große Trauer, Schmerz und Verlust. Wie viele Menschen durch diesen schrecklichen Terrorakt traumatisiert wurden und bis heute unter den Folgen leiden, ist gar nicht sicher zu sagen. Ich weiß, vermutlich genau wie Sie, noch ganz genau, was ich tat und wo ich war, als ich von diesem Ereignis erfuhr. Wir waren zu Besuch in Österreich bei meinen damaligen Schwiegereltern. Es war am Nachmittag. Wir saßen am Kaffeetisch, als mein Telefon klingelte und ein Freund erzählte, dass es einen schlimmen Unfall in New York gegeben habe, ein Flugzeug wohl versehentlich in das WTC geflogen sei. Ungläubig schalteten wir den Fernseher ein und sahen in Großaufnahme den ersten brennenden Turm. Meine Schwiegermutter räumte nach einem kurzen Blick auf den Bildschirm in Seelenruhe weiter den Tisch ab und fing an, die Spülmaschine einzuräumen. Wir konnten es alle nicht fassen, die Bilder nicht verarbeiten. Am unteren Rand des Fernsehers lief ständig ein Laufband mit den neuesten Informationen und die ersten Vermutungen wurden laut, dass es möglicherweise kein Unfall, sondern ein Anschlag gewesen sein könnte. Und immer wieder wurden die Aufnahmen gezeigt, wie das erste Flugzeug direkt in den nördlichen Turm geflogen wurde, wie sich die Explosion ausbreitete und Rauchwolken aufstiegen. Es war grauenhaft. Während ganz allmählich klarer wurde, was wir da sahen, konnten wir nur, wie vermutlich tausende von Menschen auf der ganzen Welt auf die Bilder starren und immer wieder sagen, dass doch nicht sein kann, was nicht sein darf. Als dann live, vor den Augen der Welt, der zweite Turm angegriffen wurde, bekam ich Angst, eine diffuse Angst wie eine Vorahnung, was dieses schreckliche Ereignis für Auswirkungen haben werde auf die ganze Welt. Nun, die Welt hat diesen Anschlag überstanden. Es gab furchtbare Auswirkungen auf sehr viele Menschen, aber das Leben ging weiter.

 

Knapp zehn Jahre später, am 11. März 2011 erschütterte ein Erdbeben der Stärke neun Japan und löste die Nuklearkatastrophe von Fukushima aus. Dabei wurden große Mengen an radioaktivem Material freigesetzt, die Luft, Böden, Wasser und Nahrungsmittel konterminierten. Eine Katastrophe ganz anderer Art, sicher, aber wieder hatte ich Angst, konnte nicht abschätzen, überblicken, geschweige denn kontrollieren, welche Auswirkungen auf mich, mein Leben und die ganze Welt zukamen. Ich fühlte mich wieder hilflos und ohnmächtig.

 

An die Explosion des Reaktors von Tschernobyl am 26. April 1986 erinnere ich mich natürlich auch noch. Allerdings war mein Leben im Alter von knapp 20 Jahren so voller Pläne und auf eine gute Zukunft ausgerichtet, dass ich damals zwar mit Sorgen die Nachrichten verfolgte, aber mich nicht weiter davon betroffen fühlte. Die Erde drehte sich nach Tschernobyl, dem Anschlag auf das WTC und Fukushima weiter. Man sagt, das Leben finde immer einen Weg.

Ich könnte als nächstes einen großen Absatz schreiben über die herausfordernde Zeit, in der wir aktuell leben. Eine Zeit, in der wir unsere wichtigsten Ressourcen einschränken mussten und teilweise immer noch müssen. Keine Nähe, keine Umarmungen, kein sich Anlächeln-Können. Aber darüber schreibe ich ein anderes Mal.

 

Neben den genannten großen Katastrophen, die mein Leben begleitet haben (es gibt keinerlei Anspruch auf Vollzähligkeit), habe ich durch meine langjährige Arbeit als Therapeutin und Trauerbegleiterin auch von sehr vielen persönlichen Schicksalsschlägen durch Verlust, Tod, Naturkatastrophen, Gewalt oder Suizid erfahren. Ich habe sehr viele Menschen ein Stück weit begleitet auf ihrem Weg durch die Trauer, durch Schmerz, Wut, Verzweiflung und Schuldgefühle.

 

All diese Ereignisse, die globalen wie die persönlichen, haben für mich eins gemeinsam. Sie haben mir die Naivität genommen, den Glauben daran, dass so etwas Schreckliches nicht passieren kann. Ich habe das Glück, keinen Krieg, keine Hungersnot erlebt haben zu müssen. Ich bin in wirtschaftlich geordneten Verhältnissen aufgewachsen, konnte eine gute Schulausbildung genießen und meine beruflichen Vorstellungen und Pläne umsetzen. Trotzdem bin ich, wie jeder andere, dem Leben ausgesetzt, und zwar mit allen Konsequenzen. Wir sind so fragil und verletzlich. Und wir müssen uns, gerade nach Schicksalsschlägen, die Frage stellen, ob wir uns für das Leben oder die Angst entscheiden wollen. Immer und immer wieder.

 

Was ich gelernt habe durch all das Traurige, Schwere und Katastrophale ist, das Leben jetzt zu leben. Den Augenblick zu genießen, die kleinen, stillen Momente. Den Zauber der Natur, gerade hier auf Mallorca, wahrzunehmen und dankbar zu sein. Sei es ein fast schon kitschiger Sonnenuntergang in Rosa und Hellblau. Sei es das Farbspiel zwischen einem türkisfarbenem Meer und einem strahlendblauen Himmel. Sei es die Silhouette des Tramuntana Gebirges gegen den Abendhimmel oder sei es eine sternenklare Nacht. Zu lieben, ohne Angst zu haben, verletzt zu werden, es vielleicht sogar in Kauf zu nehmen. Unseren Lieben, ob Familie, Freunden oder Bekannten zu sagen, wie wichtig sie sind und einzigartig. Wie sehr sie unser Leben bereichern. Großzügig zu sein und freundlich zu mir selbst und anderen. Weitestgehend tolerant zu sein zu den Lebensplänen, Vorstellungen und Ansichten meiner Mitmenschen. Die Feste zu feiern, wie sie fallen und auch mal Fünfe gerade sein zu lassen. Pläne und Träume zu leben, auch ohne Netz und doppelten Boden, oder es zumindest zu versuchen. Das Glück zu erkennen, wenn es uns besucht. Wir haben (vermutlich) nur dieses eine Leben und wir sind so vielen Situationen ausgesetzt, die wir nicht oder nur geringfügig beeinflussen können. Versuchen wir doch aus dem, was in unserer Macht liegt, etwas Gutes zu gestalten, die Zeit, die wir haben, zur besten unseres Lebens zu machen.

 

Music was my first love

Music was my first love

Wie vertraute Klänge unser Leben begleiten und beeinflussen können

Das Hören ist der erste Sinn, mit dem wir unsere Umwelt wahrnehmen, und zwar bereits im Mutterleib. Schon eine Woche nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle kann man mikroskopisch kleine Ansätze der Ohrenbildung am Embryo feststellen. Gleichzeitig sind viele Palliativärzte der Meinung, dass wir während des Sterbeprozesses sehr lange, vielleicht sogar bis zum letzten Atemzug hören können. Die bloße Annahme dessen sollte uns Anlass genug sein, in Anwesenheit von Sterbenden achtsam zu sein mit unseren Worten.

Es heißt auch, dass es sehr gut für die Bindung zum Baby sei, wenn beide Eltern während der Schwangerschaft mit dem Embryo sprechen, es vielleicht auch schon beim Namen nennen. Es gibt sogar Untersuchungen darüber, dass Babys, die schon im Mutterleib mit klassischer Musik „bespielt“ wurden, nach der Geburt mit Musik von Mozart und Co. besser einschlafen oder beruhigt werden konnten.

Ich persönlich habe den Eindruck, dass in mir irgendwie immer schon Musik war. Meine liebe Mutter sang mir oft zur Schlafenszeit Brahms‘ „Guten Abend, gute Nacht“ vor und dieses Stück liebe ich noch heute und werde immer ein bisschen melancholisch, wenn ich auf einer der unzähligen Spieluhren die Melodie höre. Auch „La-Le-Lu“, gesungen von Heinz Rühmann, gehörte zu ihrem Repertoire und wurde von mir heiß geliebt. Mein großer Bruder, der 11 Jahre älter ist, und dessen große Leidenschaft schon immer das Musikmachen war und ist, ließ mich schon im Krabbelalter auf Töpfen und mit Kochlöffeln „trommeln“, was das Zeug hielt. Meiner persönlichen und beruflichen Entwicklung hat das wohl nicht genutzt, aber immerhin auch nicht geschadet.

Später wurde ich beschallt mit den musikalischen Helden seiner Zeit. Ich weiß aus Erzählungen, dass ich irgendwann zu meiner Mutter lief und sagte: „Nicht mehr Puppe hören“ oder so ähnlich. Der Hit, der rauf und runter lief, hieß „Meine Puppe sagt non“ und mein Bruder konnte nicht genug davon bekommen. Ich schon. Wenn dann der Plattenspieler mal schwieg, konnte ich sicher sein, dass meine Mutter in der Küche Lieder von Zarah Leander schmetterte. „Ich weiß, es wirrrrd einmal ein Wunderrrr gescheh’n“. Herrlich. Möglicherweise war ich noch etwas zu jung, als ich mit etwa 11 Jahren von meinem Bruder ins Kino in den Film „Easy Rider“ eingeladen wurde, aber der Titelsong „Born to be wild“ hatte wohl nachhaltigen Einfluss auf mein Leben. Die Krönung der musikalischen all time favorites meiner Kindheit ist aber mit Sicherheit Peter Alexanders „Weißer Winterwald“, bei dem mir noch heute die Tränen in die Augen schießen, wenn ich es mal irgendwo zu hören bekomme. Ja, es gibt einen Soundtrack meines Lebens. Und vor einigen Jahren habe ich mir mal den Spaß gemacht und alle Lieder und Stücke zusammengetragen, die mir eingefallen sind. Die Playlist ist beachtlich und was glauben Sie, was jetzt gerade läuft, während ich darüber schreibe…

Es gibt die Stars meiner Jugend, wie Nena und ABBA, zu deren Musik wir unsere ersten Feten feierten. Später tanzten wir Klammerblues zur Schmusemusik von Chicago und den Bee Gees. „How deep is your love“ ist auch heute noch schön. Noch später kamen dann die wunderbaren Musical-Filme, wie Grease und Fame mit ihrer schmissigen Filmmusik, um nur einige zu nennen. Und dann kam der Tag, an dem ich meine Gesangskarriere startete und auch wieder beendete. Ich war ein großer Fan unserer Vorort-Band, die im Keller unter dem Kindergarten probte. Ich war total verliebt in den Sänger, aber auch in den Bassisten und den Keyboarder. Ich liebte sie alle, naiv und unschuldig, wie ich betonen möchte, liebte ich wohl mehr ihre Fähigkeiten ein Instrument zu spielen und zu singen. Ich war bei allen Auftritten dabei und grölte alle Stücke in der ersten Reihe mit. Als dann eines Tages der Leadsänger aussteigen wollte, und die Band Ersatz suchte, schlug meine große Stunde. Ich durfte vorsingen. Da ich sowieso alle Texte auswendig kannte und die Melodien dazu, war es kein Problem für mich, ans Mikro zu gehen und los zu trällern. War das aufregend. Ob ich eine Chance gehabt hätte auf eine große Karriere, werden wir nicht mehr erfahren, da am späteren Abend desselben Tages der Leadsänger zurückkam und meine Anwesenheit überflüssig machte. Vermutlich war es besser so für alle Beteiligten. Wer weiß, ob ich sonst hier sitzen und an der nächsten Kolumne schreiben würde.

Im Laufe meines weiteren Lebens gab es Stücke, die mich bei  Schmerz, Trauer und Liebeskummer trösteten, aber auch Lieder, die mich nach Krisen wieder hoffnungsfroh stimmen und motivieren konnten. Ich glaube, nahezu jeder von uns hat eine solche Playlist und vielleicht haben auch Sie jetzt Lust bekommen, mal ein bisschen zu recherchieren und in Musikarchiven zu stöbern. Durch das Internet ist es so einfach geworden, auch in Vergessenheit geratene Lieder wieder auszugraben. Wissen Sie noch, zu welchem Lied Sie das erste Mal verliebt waren oder geküsst wurden? Gerade in schwierigen Zeiten kann ein laut mitgeschmettertes „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ sehr hilfreich sein, vor allem in der Version mit den Toten Hosen. Aber das ist natürlich Geschmacksache. Es soll ja auch Menschen geben, die vor Begeisterung ganz atemlos werden, wenn sie selbiges Stück von Helene Fischer hören.

Wir wissen nicht nur aus der Demenz-Forschung, dass Musik eine Brücke bauen kann zu verschütteten Erinnerungen an gute Zeiten. Dass alte Menschen beginnen zu strahlen, wenn sie Schlager ihrer Jugend oder auch klassische Musik hören. In vielen Pflegeheimen wird Musik auch schon therapeutisch eingesetzt, um schwer Demente zu erreichen und ihnen ein wenig das Leben zu erleichtern. Auch bei psychischen Herausforderungen und Krisen wird Musiktherapie eingesetzt, um zum Beispiel Entspannung zu fördern. Bei bestimmten Organen wie dem Herzen zeigen sich sogar  funktionelle Veränderungen durch den Einfl­uss von Musik. Die direkte Messung von Reaktionen auf musikalische Schwingungen ist nicht einfach, aber die Änderungen der Herz- und Atemfrequenz können indirekt gemessen werden. Somit kann Musik nachweislich helfen, Stress oder Ängste abzubauen. Vielleicht sollten wir uns mal eine persönliche, musikalische Hausapotheke zusammenstellen.

Und wenn der Tag kommt und ich (im Geiste gemeinsam mit Queen) die Frage „Who wants to live forever?“ mit „ich nicht“ beantworten werde, wird Musik meine erste und vermutlich auch meine letzte große Liebe gewesen sein.

 

Wenn die Seele Schnupfen hat

Wenn die Seele Schnupfen hat

Und wie es da drinnen aussieht, geht niemanden etwas an

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem gebrochen Arm und einer gebrochenen Seele? Warum ist es selbstverständlich mit einem verstauchten Knöchel zum Arzt zu gehen, um zum Beispiel einen Bruch auszuschließen, aber mit Angstzuständen, Alpträumen und düsteren Gedanken zuhause zu bleiben und möglichst niemandem davon zu erzählen? Wer entscheidet eigentlich, was eine „richtige“ Krankheit ist und was nicht?

Wir leben im 21. Jahrhundert, wir fliegen zum Mond und lassen künstliche Intelligenzen, ganz ohne unser Zutun, Autos fahren. Wir reden mit elektronischen Geräten und sie führen aus, was wir wollen (soweit sie das können, oder hat man je davon gehört, dass Alexa, Siri oder google ok staubsaugen, den Müll rausbringen oder eine Nackenmassage geben würden?). Aber wenn es um die Themen  mentale Herausforderungen, psychische Beschwerden, Ängste oder gar Depressionen geht, hört der Spaß eindeutig auf. Wir fühlen uns dann schnell als Versager, andere bekommen „solche Sachen“ ja auch in den Griff, alleine, ohne die Hilfe eines „Psychos“ in Anspruch nehmen zu müssen. Wir sind ja schließlich nicht verrückt!

Was aber, wenn ich sage, dass Belastungen, wie Ängste und Depressionen sehr weit verbreitet sind? In der Europäischen Union sind Depressionen und Angstzustände die am häufigsten diagnostizierten psychischen Erkrankungen. Bei 4 von 100 Menschen wurde in 2019 eine Depression diagnostiziert, 5 von 100 leiden an Angstzuständen (Quelle: https://civio.es/medicamentalia/2021/03/09/access-to-mental-health-in-europe). Was, wenn ich sage, dass gerade solche seelischen Beschwerden, wenn sie unbeachtet und unbehandelt bleiben, chronifizieren können und nur in seltenen Fällen von alleine wieder verschwinden? Was, wenn ich sage, dass gerade jetzt, in dieser Zeit der (hoffentlich) abklingenden Pandemie zusätzlich zu allen beruflichen, wirtschaftlichen und persönlichen Veränderungen auch unsere Seelen gelitten haben, und zwar bei den allermeisten Menschen? Und,  dass es nicht peinlich sein muss oder als Zeichen des Versagens gedeutet werden sollte, wenn wir uns Hilfe holen.

Nach der Europäischen Woche der psychischen Gesundheit im Mai 2021, finden aktuell im Rahmen der deutschen Woche der seelischen Gesundheit vom 8. bis 18. Oktober 2021 sehr viele Veranstaltungen statt, die aufklären, informieren und auf besondere Möglichkeiten hinweisen sollen, mit denen wir unsere Haltung zu Therapie, Therapeuten, aber auch Präventionsberatung verändern können. https://www.seelischegesundheit.net/aktionen/aktionswoche/veranstaltungen/

Die Vorbeugung und im besten Falle Vermeidung von mentalen Beschwerden ist dabei ein wichtiges Thema. Wie kann ich feststellen, ob ich nur ein paar schlechte Tage habe oder kurz vor dem Ausbrennen stehe? Ist es nur schlechte Laune oder muss ich mir eingestehen, dass ich es morgens nur noch mit Mühe aus dem Bett schaffe und mir nichts mehr richtig Freude macht? Wie gut konnte ich es verarbeiten, dass ein lieber Angehöriger während der Pandemie verstorben ist und aufgrund dessen Abschied und Beerdigung nur unter denkbar schwierigen Bedingungen möglich waren? Wie halte ich es aus, dass ich als Arbeitnehmer oder Selbstständiger monatelang im Unklaren war oder noch bin, wie es für mich beruflich und damit wirtschaftlich weitergehen kann? Gerade hier in Spanien waren durch die lange Zeit der Ausgangssperre sehr viele Menschen extremer Isolation ausgesetzt oder konnten sich im Gegenteil kaum aus dem Weg gehen. Habe ich das alles seelisch schon gut „verdaut“ oder liegt mir das Ganze immer noch „schwer im Magen“?

Wir haben mehr als genug Gründe, uns aufzurichten und dazu zu stehen, wenn wir (und das nicht nur in diesen extremen Zeiten) Unterstützung brauchen, um unsere Ängste zu überwinden, wieder Freude zu empfinden und Vertrauen aufzubauen in uns selbst, unsere seelische Gesundheit und unsere Zukunft. Helfen wir uns doch gegenseitig und bringen wir diese Tabu-Themen auf den Tisch. Sprechen wir es an, wenn wir das Gefühl haben, dass unsere Kinder, Eltern, Partner, Freunde, Nachbarn oder Arbeitskollegen seelischen Schnupfen haben. Um in diesem Bild zu bleiben, reicht manchmal schon ein Taschentuch, um die Nase wieder frei zu bekommen. Und manchmal braucht es eben eine Beratung oder therapeutische Begleitung, um wieder richtig tief durchatmen zu können. Wenn wir alle mithelfen, können wir gemeinsam, und zwar als Hilfesuchender oder als Helfer, einen Beitrag leisten zu unserer seelischen Gesundheit.

 

Wenn Träume Wirklichkeit werden

Wenn Träume Wirklichkeit werden

Und in der Realität dabei vieles anders ist, als erwartet

Haben Sie auch schon einmal eine ähnliche Situation erlebt? Standen plötzlich da, ein Stück hinter der Ziellinie und wussten nicht weiter? So etwas kann durchaus dazu führen, dass man zunächst in ein Loch fällt und eine depressive Verstimmung entwickelt. Was passiert da mit uns? Warum fühlen wir uns leer und unwohl, wenn wir unser Ziel erreicht, unseren Traum verwirklicht haben? Nun, wir müssen uns zunächst einmal an die neue Situation gewöhnen. Lernen, die Welt aus dieser anderen Perspektive zu betrachten. Im Grunde könnten wir sogar zufrieden sein. Aber in dieser schnelllebigen Zeit vergessen wir schnell, uns zu freuen und Erfolge zu feiern. Als Therapeutin weiß ich, dass es völlig ok ist, sich auch mal auf den Lorbeeren auszuruhen. Um wieder Luft zu holen und Kraft zu sammeln und um zu erkennen, welche zusätzlichen Möglichkeiten die aktuelle Situation mit sich bringt. Daraus kann dann wieder etwas Neues entstehen, wird es möglich, weitere Ziele zu finden und Pläne zu schmieden. Vielleicht brauchen Sie auch etwas Geduld bis zum neuen Traum, der geträumt und irgendwann realisiert werden will. Am besten also erst mal zurücklehnen, atmen und abwarten. Ich für meinen Teil habe jetzt die Idee, einmal im Monat eine neue Stadt, ein neues Dorf zu erkunden, um mir auf diese Weise eine kleine Auszeit zu nehmen. So kann ich meine neue Heimat immer besser kennenlernen und ganz hier ankommen.

 

Ein Freund, ein guter Freund

Ein Freund, ein guter Freund

Warum man im Leben auf vieles verzichten kann, aber nicht auf Menschen, die mit einem durch dick und dünn gehen

Wenn ich so über das Thema „Freunde“ nachdenke, fallen mir gleich viele Namen aus meiner Kindheit ein. Tim und Struppi, Bernhard und Bianca und die kleinen Strolche. Später waren es dann die Pink Ladies aus Grease und noch später natürlich die New Yorker Grazien aus „Sex and the City“. All diesen Figuren ist gemein, dass sie uns Geschichten rund um ihre Freundschaft erzählten, es ging um gute und schwere Zeiten und darum, wie sie gemeinsam Abenteuer erlebten, sei es mit bösen Nachbarn, geldgierigen Ganoven oder mit Männern.

Im Laufe meines Lebens durfte ich einige Menschen zu meinen Freunden zählen. Manche davon haben mich nur ein Stück auf dem Weg begleitet und sind dann weitergezogen, andere sind viel zu  früh gestorben, wieder andere sind bis heute ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Was diese Menschen verbindet ist, dass ich ihnen blind vertrauen konnte, in jedem Moment. Es heißt, Blut sei dicker als Wasser. In meinem Fall kann ich nur sagen, dass dann wohl meine Freunde Blutsgeschwister waren, denn ich konnte nie einen Unterschied feststellen zwischen Familie und meinen besten Freunden. Ich kann mich erinnern an Olaf, der mir in der zweiten Klasse mit Freude jeden Morgen meine neue Brille von zuhause holte, weil ich mich noch nicht daran gewöhnt hatte, eine kleine Brillenschlange zu sein und mein Nasenfahrrad regelmäßig vergaß. Dafür teilte ich dann in der Pause mit ihm mein heißgeliebtes Brot mit Nussnougatcreme, ja genau mit der, an die Sie jetzt gerade denken. Olaf war wohl irgendwie mein erster guter Freund. Vorausgesetzt, dass mein Stoffhund Waldi nicht mitzählt. Der war auch sehr wichtig, aber eben kein Mensch.

In der Schule war ich dann später in diverse, wechselnde Cliquen eingebunden, hatte aber natürlich auch immer eine „beste“ Freundin, mit der dann ausführlich alle schwierigen Themen mit Lehrern, Eltern und Jungs erörtert wurden. In der Zeit der ersten großen Liebe, wurde die beste Freundin dann zur zweitwichtigsten Person. Natürlich war die wichtigste Person immer die dann gerade aktuelle (und öfter mal wechselnde) große Liebe, wobei die beste Freundin immer dieselbe blieb. Susanne und ich teilten jedes noch so unwichtige Detail, schimpften zusammen über diverse Ex-Freundinnen unserer Auserwählten, erzählten uns alles über romantische Abende am Lagerfeuer oder im Kino, besprachen Strategien, wenn es mal kriselig wurde und weinten zusammen, wenn mal wieder eine große Liebe zu Ende ging. Während ich diese Zeilen schreibe, fällt mir auf, dass sich daran bis heute im Grunde nicht viel geändert hat.

In der Ausbildung fand ich dann in meiner Sitznachbarin Antje innerhalb von wenigen Sekunden eine neue gute Freundin, wobei wir uns bis heute nicht darüber einigen können, wer als Letzte von uns in den Raum kam und den allerletzten Sitzplatz ergatterte. Auch wenn unsere Lebensgeschichten sich sehr unterschiedlich entwickelten, sind wir bis heute in Verbindung.

Später fand ich im Berufsleben eine Kollegin, die binnen kürzester Zeit zu einer langjährigen besten Freundin wurde. Wir tanzten auf unserer beiden Hochzeiten, konnten damit aber nicht verhindern, dass irgendwann sowohl die Freundschaft, als auch zumindest meine Ehe zerbrachen. Anlässlich einer Fortbildung lernte ich dann meine liebe Anja kennen, mit der ich wunderbare Erinnerungen teile. So feierten wir vor einigen Jahren ganz spontan ihren 50. Geburtstag auf Mallorca ohne Rücksicht auf Verluste und sind überhaupt bis heute für jede Verrücktheit zu haben. Am Bodensee lernte ich einige sehr spannende und interessante Frauen kennen und auch hier entstanden aus losen Bekanntschaften fabelhafte Freundschaften. Man sagt ja, dass sich in der Krise zeigt, auf wen man sich wirklich verlassen kann. So haben Gabriele und ich diverse schwere Krisen gemeinsam gemeistert und damit bewiesen, dass wir richtig beste Freundinnen sind. Auch wenn nun nahezu 1.500 Kilometer zwischen uns liegen, sind wir im Grunde untrennbar. Dann sind da noch Christina, die mir in meiner schwierigen Trennungszeit (wir sprachen darüber) zur Seite stand und wochenlang Asyl bot und die ich bis heute um Rat bitte, wenn ich nicht weiter weiß und Eleonore, mit der mich zwar eine kürzere, aber von Anfang an sehr vertrauensvolle und besondere Freundschaft verbindet. Meine lieben guten Freundinnen, es ist Zeit, einmal Danke zu sagen. Danke für jedes tröstende Wort, für jede Umarmung, jedes Kopf zurechtrücken, wenn ich mal wieder Flausen in selbigem habe. Danke für gemeinsame Verrücktheiten, für Lachen und Weinen. Ihr seid einfach die Besten! Und jetzt, hier, auf dieser wunderbaren Insel, habe ich das große Glück, einige tolle Frauen kennengelernt zu haben, von denen ich sicher sagen kann, dass wir dabei sind, richtig gute Freundinnen zu werden.

Warum ich Ihnen das erzähle? Nun, vielleicht wäre es auch für Sie mal wieder an der Zeit, an Ihre guten Freunde zu denken und danke zu sagen. Es ist nämlich alles andere als selbstverständlich, wohl eher ein großes Glück, so kostbare Menschen um sich zu haben. Oder geht es Ihnen im Moment wie vielen Anderen, deren Lebensumstände sich massiv geändert haben? Haben Sie, bedingt durch den Wechsel ins Home Office, den Kontakt zur Außenwelt etwas verloren? Fühlen sich einsam und wie abgeschnitten. Oder sind Sie gerade umgezogen oder gar ausgewandert und müssen jetzt erst mal neue Leute finden, um einen neuen Freundeskreis aufbauen zu können? Eine Gelegenheit bietet sich heutzutage auch durch Social Media. So gibt es beispielsweise in facebook Gruppen für alle möglichen Menschen und ihre Gemeinsamkeiten. Frauen mit Hunden; Männer ohne Hunde; Frauen, die Mallorca lieben; Männer, die Frauen lieben; Frauen, die sich selber lieben (wobei es durchaus Überschneidungen geben kann), um nur ein paar zu nennen. Aus meiner therapeutischen Sicht ist es entscheidend, dass Sie sich motivieren und den ersten Schritt tun. Alles Weitere findet sich dann schon. Für unser seelisches Wohlbefinden ist es sehr wichtig, gute Freunde zu haben. Der Volksmund sagt nicht ohne Grund: Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude ist doppelte Freude. Und mit wem kann man das besser, als mit der besten Freundin, dem besten Freund? Auch wenn der internationale Tag der Freundschaft bereits am 30. Juli war, wer will uns davon abhalten, genau heute unseren ganz persönlichen Freundschaftstag auszurufen und zu feiern, solche besonderen Menschen an unserer Seite zu haben? Lassen Sie mich Ralph Waldo Emerson zitieren, der einst sagte: „Das Schönste an einer Freundschaft ist nicht die ausgestreckte Hand, das freundliche Lächeln oder der menschliche Kontakt, sondern das erhebende Gefühl, jemanden zu haben, der an einen glaubt und einem sein Vertrauen schenkt.“ Ein Hoch auf alte und neue Freunde!

 

 

Wenn die Liebe giftig wird

Wenn die Liebe giftig wird

So erkennen Sie, wann es Zeit sein könnte, zu gehen

Mal Hand aufs Herz. Wann haben Sie sich das letzte Mal in Ihrer Beziehung unwohl gefühlt, nicht geliebt, nicht gesehen, nicht wertgeschätzt, nicht verstanden? Wann waren Sie so frustriert, dass Sie dachten, das mache ich nicht mehr lange mit? Wann fühlten Sie sich schlecht, hatten vielleicht Kopf- oder Magenschmerzen in Situationen, in denen man eigentlich vor Freude singen und springen sollte (also bildlich gesprochen)? Noch nicht lange her? Sie kennen das alles nur zu gut?

Dann gibt es mehrere Möglichkeiten: 1. Ihre Beziehung ist völlig normal und Sie haben gerade eine schwere Zeit. Bedingt durch die Pandemie, die Arbeit im Home Office und/oder das Home Schooling der Kinder kommen Sie beide an Ihre Grenzen und sind überlastet. Oder Sie haben gerade (den ersten) Nachwuchs bekommen und müssen sich in der neuen Lebensphase erst einmal zurechtfinden. Oder es gibt andere Lebensumstände, die Sie derzeit nicht oder nur bedingt beeinflussen können, wie z.B. die Pflege von Familienangehörigen, existentielle Sorgen oder eine eigene Erkrankung. Die gute Nachricht lautet: Halten Sie durch! Es lohnt sich. Wenn Sie sich im Grunde in Ihrer Beziehung wohl fühlen, sich lieben und auch ganz andere Zeiten kennen, voller Liebe und Harmonie, dann reden Sie miteinander. Sorgen Sie dafür, dass Sie auch als Paar wieder gemeinsam etwas Schönes unternehmen. Das kann ein Spaziergang im Wald oder am Strand genauso sein, wie ein Kurzurlaub im Wellness-Hotel oder ein selbstgekochtes, romantisches Abendessen im heimischen Wohnzimmer. In vielen Fällen gelingt es, die Stürme des Lebens gemeinsam zu bestehen, um dann wieder in ruhigeren Gewässern zu segeln.

2. Sie und Ihr Partner sind völlig normal, also jeder für sich gesehen. Zusammen funktionieren Sie nicht so wirklich gut. Das kann daran liegen, dass Sie unterschiedliche Vorstellungen von Beziehung haben, Sie oder Ihr Partner derzeit eigentlich gar keine Zeit oder Energie für eine Partnerschaft aufbringen können oder wollen oder Sie beide sich im Laufe Ihres gemeinsamen Lebens schlichtweg auseinander entwickelt haben. Auch hier gilt: Reden Sie miteinander! Versuchen Sie zu klären, und zwar am besten jeder für sich und dann gemeinsam, ob Sie weiter in diese Beziehung investieren wollen, ob genug Liebe da ist, um weiterzumachen. Vergessen Sie bei Ihren Überlegungen auch nicht, welche Auswirkungen eine Trennung auf Ihre möglicherweise vorhandenen Kinder haben würde. Es kann sehr hilfreich sein, eine sogenannte Trennungsbegleitung in Anspruch zu nehmen. Das ist eine Art Paartherapie, die eine friedliche, faire Trennung zum Ziel hat, zum Wohle aller Beteiligten. In meiner Praxis konnte ich auf diese Weise schon einige Paare begleiten und so dafür sorgen, dass die Trennung als Paar vollzogen wurde, die beiden als Eltern aber gut weiter zusammenarbeiten konnten und die Kinder gut versorgt waren.

3. Die erste große Verliebtheit ist vorbei, und Sie stellen fest, dass Sie einfach nicht zusammen passen. Das ist eine Variante, die leider recht häufig vorkommt. Wenn wir betrachten, was beim Vorgang des “sich Verliebens” geschieht, stellen wir fest, dass wir offenbar viel weniger Einfluss darauf haben, als wir denken. Ich sage nur Hormone. Laut der Frauenzeitschrift Brigitte hat bisher “die chemische Formel fürs Verlieben noch niemand gefunden”. Es besteht offenbar “nicht mal Anlass, …, dass es sie gibt.” Aber wir wissen, dass “gewisse biochemische Vorgänge in unserem Körper eine Rolle beim Verlieben spielen”. Es ist wohl so, dass Frauen, je nachdem wie weit sie in ihrem Zyklus sind, auf unterschiedliche Männer abfahren, entweder den Versorgertyp (eher sanft, mit gepflegten Augenbrauen) oder den Erzeugertyp (vor Testosteron strotzend, sehr “männlich”). Männer hingegen können offenbar am Geruch erkennen, ob eine Frau gerade fruchtbar und damit besonders interessant ist, um die Art zu erhalten, oder nicht. Dieser “Geruch” ist natürlich sehr subtil und liegt unter der normalen Wahrnehmungsgrenze. Häufig wird die männliche Nase hier auch durch den Einsatz diverser Duftwässerchen massiv irritiert, wenn nicht sogar getäuscht. Auch die Einnahme der Pille hat großen Einfluss auf den “Duft der Frauen”. Es gibt Untersuchungen darüber, dass Paare sich besonders häufig trennen, wenn die Pille abgesetzt wird, um die Familienplanung zu starten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass sich die Herren der Schöpfung an dieser Stelle dann doch lieber aus dem Staub machen… Es ist wohl eher so, dass durch das veränderte Hormongeschehen im weiblichen Körper sich eben auch der Geruch ändert. Man kann sich einfach nicht mehr riechen. Auch in diesem Fall können Sie natürlich reden, aber das Gespräch wird sich vermutlich eher darum drehen, wer den Hund nimmt.

4. Sie befinden sich in einer sogenannten toxischen Beziehung. Das Schlimme daran ist, dass wir es ahnen, aber nicht wahrhaben wollen. Eine toxische Beziehung ist oft anfangs schon nur semi-erfüllend. Was genau dazu führt, dass wir unsere innere Stimme überhören, sämtliche Alarmsysteme in unserem Kopf abgeschaltet sind und alle Hinweise nahestehender Personen darauf, dass es Zeit wird zu gehen, in den Wind schlagen, ist noch nicht gut erforscht. Sicher spielen auch wieder Hormone eine Rolle und unser Bindungsverhalten. So lernen wir beispielsweise von unseren Eltern, wie Beziehung funktioniert. Haben sich unsere Eltern oft und häufig gestritten und pflegten keinen liebevollen Umgang miteinander, halten wir dieses Verhalten unter Umständen für normal und finden zielsicher einen Partner, mit dem wir genau eine solche Beziehung führen können. Wir finden den einen Mann oder die eine Frau zum Streiten und unglücklich Werden. Es geht oft sogar so weit, dass wir den wunderbaren Menschen direkt vor unserer Nase, der liebevoll, einfühlsam und wertschätzend ist, stehenlassen, um mit dem Nächsten, der uns sicher unglücklich machen wird, loszuziehen. Manchmal fragt man sich schon, was sich die Natur dabei so denkt. Was tun, wenn Sie nun den Verdacht haben, in einer solchen Beziehung zu sein? Versuchen Sie sich einmal klarzumachen, am besten schriftlich, was genau Sie sich in einer Beziehung wünschen. Schreiben Sie eine Liste mit den Überschriften: Absolut wichtig und unverzichtbar. Sehr wichtig, Kompromisse sind denkbar. Nice to have, quasi die Kirschen auf der Sahne. Dann betrachten Sie Ihre Beziehung und seien Sie bitte ehrlich. Sollten Sie feststellen, dass Sie im ersten Punkt nicht alle Bedingungen als gegeben abhaken können und Sie sich oft nicht gut fühlen, nicht geliebt, nicht gesehen, nicht wertgeschätzt… wird es Zeit zu handeln. Holen Sie sich, wenn nötig, professionelle Hilfe. Auch Beziehungsmuster sind nicht in Stein gemeißelt und können mit viel Geduld und Selbstliebe aktualisiert werden. Nur Mut, auch wenn es schwerfällt. Sie schaffen das! Und können so die Basis dafür schaffen, am Ende doch noch glücklich zu werden.

 

Herbstgeschichten

Herbstgeschichten

Wenn mit dem Färben der Blätter die Seele schwer wird

Ich bin ein Herbstkind und als solches ist diese Jahreszeit schon immer etwas Besonderes für mich gewesen. Dieser kleine Moment im Spätsommer, oft schon Anfang September, wenn man spürt: Etwas ist anders. Ein spitzer Hauch von Kühle liegt in der Luft. Anfangs ist er kaum zu erahnen, aber dann ist es klar, der Herbst ist da. Auch wenn es noch viele wunderbar warme Tage geben mag, dieser Sommer ist unwiederbringlich vorbei. In Deutschland spürte ich oft einen kleinen Stich im Herzen bei dem Gedanken daran, dass nun die Tage deutlich kürzer werden und es mit Riesenschritten auf die dunkle Jahreszeit zugeht.

Für die Natur ist der Herbst eine sehr wichtige Einrichtung. Das Wachstum der Pflanzen kommt zur Ruhe, sie sammeln ihre Kräfte in den Wurzeln, bilden und verteilen noch ihre Samen, bevor sie sich ganz zurückziehen, um sich auf den kommenden Frühling und den nächsten Tanz von Werden, Sein und Vergehen vorzubereiten. Auch die innere Uhr des Menschen reagiert normalerweise darauf. Wir werden in allem etwas langsamer, das Schlafbedürfnis wird größer und auch die Lust auf kalorienhaltiges Essen macht sich bemerkbar. Leider können wir oft, durch die Anforderungen des modernen Lebens, all diesen Bedürfnissen nicht oder nur marginal nachgeben. Möglicherweise würden wir Herbst und Winter viel besser überstehen, wenn wir unser Leben mehr anpassen könnten an diese besondere Zeit. Viele Menschen spüren auch eine gewisse Melancholie, die sich bei einigen zu einer richtigen Winterdepression auswachsen kann. Dabei handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine saisonale Erscheinung, die im Gegensatz zu einer “klassischen” Depression asymptomatisch mit Heißhunger statt Appetitverlust und vermehrtem Schlaf statt Ein- und Durchschlafstörungen daherkommt. Glücklicherweise vergeht diese Form der Depression recht häufig wieder, mit den ersten warmen Strahlen der Frühlingssonne.

 

Dies ist nun mein erster Herbst auf Mallorca. Ich erkenne ihn daran, dass er mit spektakulären Farben sowohl den Sonnenauf- wie auch -untergang an den Himmel zaubert. Ich spüre natürlich genauso, dass die Abende und Nächte kühler werden und mein Bedürfnis an den Strand oder gar ins Meer zu gehen deutlich abgenommen hat. Ob ich auch mehr Lust auf mehr Kalorien habe, kann ich nicht genau sagen, da ich im Grunde nie auf Pasta, Käse und anderes Hüftgold verzichten mag. Und auch dieser leichte Anflug von Schwermut ist mir wohl bekannt. Aber etwas ist hier deutlich anders und zwar ganz abgesehen davon, dass es wirklich wunderbar ist, auf dieser schönsten Insel zu arbeiten und zu leben: Es gibt einfach mehr Licht. Selbst an trüben Tagen und ich weiß, dass es diese gibt und dass sicher noch einige kommen werden, ist es deutlich heller als in Deutschland. Auch meine üblichen, saisonalen trüben Gedanken, die sich immer einstellen, wenn die Weihnachtszeit näher rückt, weil ich diese ohne einige sehr wichtige Menschen verbringen muss, bleiben dadurch viel besser auszuhalten. Es ist sogar so, dass ich es genießen kann, wieder etwas mehr anzuziehen, als nur ein dünnes Kleidchen und Sandalen. Ich mag es, mich in wollige Jacken und Pullover zu kuscheln, wenn das Thermometer dabei bloß einigermaßen im Plusbereich bleibt. Auch eine feine Tea-Time am Nachmittag macht im Herbst deutlich mehr Spaß, als bei 34 Grad.

 

Licht ist für uns Menschen, ja, für die gesamte Natur absolut wichtig. Wussten Sie, dass der Startschuss für das Keimen der Samen und das Wachstum der Pflanzen im Frühjahr das stärker werdende Licht ist, nicht die steigenden Temperaturen? Mithilfe von Hormonen steuert der Körper viele seiner Funktionen abgestimmt auf die jeweilige Tageszeit und die Menge an Licht, der er ausgesetzt ist. Und nicht nur das. Auch die Farbe des Lichts hat einen großen Einfluss darauf, ob wir zur Ruhe kommen oder nicht. Findige Hersteller von Computern und Mobiltelefonen haben vor einiger Zeit schon begonnen, die Displays ihrer Geräte mit Filtern auszustatten, die zum Beispiel ab einer bestimmten Uhrzeit die Blauanteile im abgestrahlten Licht unterdrücken. Dadurch wirkt das Licht rötlicher, suggeriert dem Auge, dass es Abend wird und regt damit die Produktion des sogenannten Schlafhormons Melatonin an. Auch der Jetlag (mir gefällt der Begriff Zeitzonenkater) wird damit erklärt, dass Licht und Dunkelheit zu ungewohnten Zeiten auftreten und dadurch die natürlichen Rhythmen wie Essens- und Schlafenszeit, Hormonproduktion oder Körpertemperatur aus dem Takt kommen. Hier soll es im Übrigen helfen, viel Zeit am Zielort im Freien zu verbringen, um sich den Lichtverhältnisses anzupassen.

 

Nach einer Reportage des Deutschlandfunks aus dem Jahr 2017 wird der Bedeutung des Lichts seit einigen Jahren verstärkt Beachtung geschenkt. In der Medizin und der Industrie wird geforscht und entwickelt. Ständig werden neue Produkte auf den Markt gebracht, die uns helfen sollen, in der dunklen Zeit besser über die Runden zu kommen. So gibt es beispielsweise Tageslichtlampen, die uns die erforderliche Menge an Licht (gemessen wird in Lux) liefern sollen. Bis zu 100.000 Lux wirken im Sommer bei blauem Himmel auf den Körper. Im Winter und bei bedecktem Himmel nur um die 3.500 Lux, also ein Bruchteil dessen. Noch kleiner wird die Lichtmenge, wenn man sich in Gebäuden und in künstlichem Licht aufhält. In meiner Praxis habe ich bei Winterblues schon oft den Einsatz dieser Tageslichtlampen empfohlen, die mit ca. 10.000 Lux strahlen. Je nach Bedarf sollte man sich einige Minuten am Tag erleuchten lassen und darf sich dabei auch vorstellen, am Strand zu liegen oder sonstigen sommerlichen Aktivitäten nachzugehen. Vorrang haben sollte aber immer das echte Tageslicht, das verbunden mit einem herbstlichen Spaziergang auch gut ist für unseren Kreislauf und das Immunsystem, selbst wenn das Wetter kühl und regnerisch sein sollte.

 

Überhaupt ist es eine gute Idee, sich gerade im Herbst öfter mal etwas Gutes zu tun. Das kann neben Freiluftaktivitäten auch ein Vollbad mit duftenden Badezusätzen sein oder eine wohltuende Massage vom Partner oder Fachmann (was sich nicht zwangsläufig widerspricht). Auch ein selbstgekochter Schokoladenpudding kann nicht nur den Magen, sondern auch die Seele erfreuen, wenn diese vom fernen Sommerglück am Meer und von warmen Sonnenstrahlen träumt. Und wenn dann um den 21. Dezember herum die längste Nacht des Jahres vorüber ist und das Licht (nach der Vorstellung unserer Vorfahren) tief in der Erde wiedergeboren wird, werden die Tage wieder länger. Dann bereits beginnt die Natur den kommenden Frühling vorzubereiten und erneut startet der Kreislauf der Jahreszeiten.

 

Die Kunst zu scheitern

Die Kunst zu scheitern

Warum es manchmal durchaus sinnvoll sein kann aufzuhören, statt immer weiter zu machen

Gestern stieß ich in einem Hörbuch mal wieder auf folgende Anekdote über Thomas A. Edison. Er hatte um 1879 bekanntlich die Glühbirne erfunden und wurde nun zu seinen vielen Fehlversuchen (fast 9000) befragt. Seine Antwort war so einfach wie genial. Er sagte: “Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 10.000 Wege, wie man keine Glühlampe baut.” Und der ehemaliger Premierminister von Großbritannien Winston Churchill soll einmal gesagt haben: “Never give up”, was ich in diesem Zusammenhang übersetzen würde mit “der einzige Weg zu scheitern, ist der aufzugeben.” Zwei Beispiele dafür, dass es sich bestimmt oft lohnen kann, dranzubleiben, beharrlich zu sein und Geduld zu haben. Aber kann man das verallgemeinern. Heißt das, wer aufgibt ist feige? Niemals aufgeben ist das Ziel? Kämpfen und weitermachen um jeden Preis? Und bezieht sich das auf alle Lebenssituationen, gleich ob es um eine berufliche Herausforderung geht, um eine Beziehung (wir sprachen neulich darüber) oder um eine Erkrankung?

 

Ich habe da so meine Zweifel. Verlieren wir nicht mit dieser Haltung das Gefühl, die Wahrnehmung dafür, wann es genug ist, wann es Zeit ist, zu gehen, aufzuhören und zu akzeptieren, was scheinbar nicht zu ändern ist? Nehmen wir mal als Beispiel eine schwere Erkrankung. Sicher ist es richtig und wichtig, zunächst alles zu versuchen, um wieder gesund zu werden. Oder etwa nicht? Was ist mit den verschiedenen Umständen wie Alter, Schwere der Erkrankung und Lebensumständen der betroffenen Person? Darf eine krebskranke Mutter von vier Kindern eine Chemotherapie verweigern? Darf ein 80jähriger Mann entscheiden, dass er nicht mehr operiert werden möchte? Ist es egoistisch, von seiner Familie zu erwarten, dass sie mit ansehen müssen, wie die betroffene Person langsam stirbt, weil sie nicht mehr essen und trinken möchte? Darf ein seit vielen Jahren leidender, schwer psychotischer Mensch entscheiden, dass er nicht mehr leben will?

 

Heiligt der Zweck alle Mittel und MÜSSEN wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, nur weil es sie gibt? Was ist mit der Idee, dass es einen Zeitpunkt geben könnte, an dem wir entscheiden, dass es jetzt nicht mehr darum geht, weiterzumachen, weiterzukämpfen? Könnte man statt aufzugeben auch versuchen, sich hinzugeben, d.h. das Schicksal zu akzeptieren, anzuerkennen, was ist? Diese Fragen sind sicher sehr schwer und auf keinen Fall allgemeingültig zu beantworten. Ich glaube aber, und zwar aus persönlicher und therapeutischer Sicht, dass es wichtig ist, unsere eigenen Grenzen zu finden. Ganz gleich in welchem Kontext. Wenn wir (wieder) lernen, mehr auf unser Gefühl zu achten, auf die Signale, die unser Körper sendet, können wir vielleicht eher Entscheidungen treffen, die für uns stimmig sind. Das heißt aber auch, dass wir mehr Verantwortung für uns übernehmen müssen. Wir können nicht mehr alles abgeben und darauf vertrauen, dass der Partner, der Chef, der Arzt schon wissen werden, was richtig für uns ist.

 

Ich habe schon viele Menschen in ihren Entscheidungsfindungs-Prozessen begleitet und kann sagen, dass es für meine Klienten sicher nicht immer einfach ist herauszufinden, ob es besser ist, mit etwas aufzuhören oder weiterzumachen. Aber oft ist gerade die Entscheidung für eine Art „Scheitern“ eine große Erleichterung. Und dieses Scheitern öffnet den Raum für neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten.  Auch wenn es in vielen Fällen möglich ist, alleine eine richtige Entscheidung zu finden, kann es sehr ratsam sein, sich Unterstützung zu holen. Und zwar zunächst vielleicht in Form von Gesprächen mit Familie und Freunden, um die Sache von mehreren Seiten zu beleuchten. Je nach Situation können auch Fachleute, wie Ärzte oder Anwälte zu Rate gezogen werden. Und dann gibt es noch eine weitere, sehr wichtige Instanz in uns, die eine entscheidende Rolle spielen kann und sollte: Unser Körpergefühl. Eine kleine, einfache Übung ist es, jede Alternative zu benennen und einer Zimmerecke zuzuordnen. Dann stellen Sie sich für eine Weile in jede der Ecken und tun erst mal nichts. Außer atmen, ein und aus. Und dann nehmen Sie wahr, wie es sich dort anfühlt, in dieser Ecke, wie Sie sich dort fühlen. Lauschen Sie auf Ihr Inneres. Gibt es Signale wie Unwohlsein im Bauch, Druck auf der Brust oder haben Sie im Gegenteil das Gefühl in dieser Zimmerecke besonders frei durchatmen zu können? Auch wenn Ihnen dieses Vorgehen etwas befremdlich erscheint, so ist es doch eine bewährte Intervention aus der systemischen Therapie und kann dazu beitragen, die richtige Antwort zu finden auf die Frage, ob es besser ist weiterzumachen, einen Weg fortzusetzen oder nicht.

 

Sie kennen sicher den Begriff „Loslassen”, der gerne mal bemüht wird, wenn es darum geht, von verstorbenen Menschen Abschied zu nehmen. Über Sinn und Unsinn des Loslassens in Trauerprozessen werde ich ein anderes Mal schreiben. Heute geht es mir darum, dass Loslassen auch bedeuten kann, einen Plan, eine Idee, einen Lebenstraum ad acta zu legen, um dadurch neue Impulse entwickeln zu können für das weitere Leben. Man akzeptiert sozusagen sein Schicksal, man lässt sich sein Los. Diese alte Bedeutung des Wortes „Los“ im Sinne von Bestimmung gefällt mir gut. So kann es beispielsweise nach der sehr traurigen Erfahrung von ungewollter Kinderlosigkeit sehr heilsam sein, diesen Umstand zunächst anzunehmen, ihn dann aber als Auslöser zu verstehen, um andere (soziale) Projekte zu finden, um Kinder zu unterstützen oder ganz neue Ausrichtungen zu entdecken, um glücklich zu leben. Auch am Ende einer Beziehung ist es manchmal schwierig und schmerzhaft, zu akzeptieren, dass es gemeinsam nicht mehr weiter geht. Dennoch ist es wichtig, anzuerkennen, wenn dieser Punkt erreicht ist, damit Verletzungen heilen können und beide Partner  die Chance haben, ihr Leben, jeder für sich, gut weiterzuleben.

 

Ich mag die folgenden Sätze, die manche Menschen als Gelassenheitsgebet bezeichnen, für mich aber eher eine große Lebensweisheit sind: Ich bitte (Gott oder wie auch immer Sie es nennen wollen) um die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das Eine vom Anderen zu unterscheiden. Mit dieser inneren Haltung gibt es im Grunde gar kein Scheitern mehr. Sollte ich dann auf meinem Lebensweg mal wieder in eine Sackgasse geraten, in der es nun mal nicht weiter geht, werde ich tief durchatmen, und mich (hoffentlich) daran erinnern, mich umzudrehen, um einen anderen, neuen Weg zu finden.

 

Selbstoptimierung

Selbstoptimierung

Nur ein vorübergehender Wahn oder längst traurige Wirklichkeit

Gerade läuft Shopping-Queen im Fernsehen. In dieser Woche wurden nur Curvy-Mädels eingeladen. Es soll vermutlich ein Zeichen sein gegen den immer heftiger werdenden Druck in Fernsehen, Film und sonstigen Medien hinsichtlich „Dünn-Dünner-Größe Zero“. Dabei ist das Gewicht ja mittlerweile nur die oberste Spitze des Eisbergs an Möglichkeiten, seinen Körper zu „verändern“, um es mal möglichst wertfrei auszudrücken. Es gibt fast nichts mehr, was es nicht gibt. Künstliches Hollywood-Lächeln, Schlupflider-Korrektur, Fettabsaugung an Bauch, Hüfte, Po und Oberarmen, aber auch Brust- und Po-Implantate, natürlich dauerhafte Enthaarung, dann geht es weiter über die „Verschönerung“ der Brustwarzen, die Verkleinerung der Schamlippen (aua!), ebenso wie die Hoden-Straffung und das Penis-Bleaching. Das sind nur die Möglichkeiten für Normalos, die sich das eben leisten können und wollen.

 

Aber hier fängt der Spuk erst an. Es gibt Menschen, die wollen aussehen wie Ken oder Barbie oder beides. Andere lassen sich die Zähne spitz feilen, die Wangen aufplustern und Raubtierstreifen ins Gesicht tätowieren, um sich wie ein Tiger zu fühlen. Auch Echsen und Schlangen müssen als Vorbilder  herhalten und werden kopiert, in dem sich Menschen die Zunge spalten und sich am ganzen Körper Schuppen auf die Haut stechen lassen.

 

Des Menschen Wille ist ein Himmelreich heißt es, und so käme ich niemals auf die Idee, all diese Menschen, die den Wunsch haben, sich optisch zu verändern, zu be- oder verurteilen. Manchmal kann ich mir ein Grinsen allerdings nicht verkneifen und ein anderes Mal läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken beim Gedanken daran, wie viele Schmerzen dieser Mensch wohl aushalten musste, um so auszusehen. Als Therapeutin stelle ich mir natürlich auch die Frage, was diese Menschen dazu bewogen hat, diese Veränderungen durchführen zu lassen. Welche Gedanken und Ideen hatten sie über ihren Körper, ihre Identität? Warum meinen wir so oft, wir müssten uns äußerlich irgendwie verändern, optimieren, anpassen, um richtig, um einzigartig zu sein? Die Tattoo-Fans unter Ihnen können jetzt sagen, dass diese Art des Körperschmucks schon eine jahrtausendealte Tradition hat. Das stimmt und soll auch gar nicht mein heutiges Thema sein.

 

Mich interessiert, woher der Drang kommt, unseren Körper ständig zu verbessern (oder teilweise zu verschlimmbessern). Warum können wir nicht annehmen, dass wir Schlupflider haben oder die Eine mit vollen Lippen ausgestattet ist, der Andere nicht? Verändert sich bei den äußeren Umbaumaßnahmen unser Inneres mit? Und ich meine jetzt nicht die Menschen, die durch Unfälle oder Erkrankungen Körperteile verloren haben und dadurch entstellt sind. Diese kann es oft erst ganz ins Leben zurückbringen, wenn sie körperlich wieder hergestellt sind. Ich meine Menschen, wie Sie und ich, die sich den aktuellen Schönheitsidealen unterwerfen, sich von einer Diät zur anderen hangeln und sogar einer Schilddrüsenüberfunktion oder einer akuten Diarrhöe etwas Positives abringen können, weil man dadurch ein paar Kilos verlieren kann. Ach, und dann sind da ja auch noch die ganzen sportlichen Antreiber, wie beispielsweise „So überwindest Du Deinen inneren Schweinehund“, „Das beste Work-Out ohne Geräte“. Gestern fand ich sogar „Das erste Work-Out ohne Geräusche, für Übungen in der Mietwohnung“. Da hat man dann kaum noch eine Ausrede, wenn sich die Fettpölsterchen unter dem Shirt abzeichnen oder das hängende Oberärmchen freundlich mitwinkt.

 

Die Selbstoptimierung macht auch vor der Seele nicht halt. Wie viele Ratgeber-Bücher haben Sie in Ihrem Schrank? „So beeinflussen Sie Ihr Unterbewusstsein“, „Die beste Version Ihrer selbst werden“, „So entwickeln Sie Charisma“, „Stress und Ängste einfach loslassen“. Es scheint so einfach zu sein, ein guter, liebevoller, achtsamer Mensch, eine geduldige Mutter, ein fürsorglicher Vater zu werden. Wenn Sie nur dieses oder jenes beachten, sich so oder so verhalten, kann Ihr Leben endlich erfüllend und glücklich werden… Es gibt nicht selten Klienten, die zu mir kommen, weil sie ihre eigenen Ansprüche an sich einfach nicht erreichen können und dadurch Schlaflosigkeit, Ängste, ja sogar Depressionen und sonstige psychische Probleme entwickeln. Und ich kann Ihnen verraten, als Therapeutin kommt dazu noch der eigene Anspruch, dass man all das, was man seinen Klienten sagt, auch selber können sollte und noch mehr. Ja, soweit die Theorie.

 

Dabei wäre mein Rat der Folgende. Nehmen Sie all Ihre Ratgeber-Bücher und legen Sie sie beiseite (vielleicht sogar vorübergehend in eine Kiste). Dasselbe machen Sie gedanklich mit allen Ratgeber-Videos und -Podcasts und allem, was Sie noch so aufzubieten haben. Dann kochen Sie sich einen Tee oder Kaffee oder was immer Sie mögen und tun NICHTS. Außer atmen, das wäre noch wichtig. Versuchen Sie einfach nur freundlich zu sich zu sein, und wenn das gerade nicht klappt, weil Sie sich zu dünn, zu dick, zu dumm, zu schlau oder einfach nur doof finden, dann versuchen Sie, genau das anzunehmen und damit freundlich zu sein. Betrachten Sie sich durch die Augen eines Menschen, der Sie sehr schätzt, das kann der Partner, ein Familienmitglied oder die beste Freundin sein. Geht nicht, weil nicht vorhanden oder gerade im Streit? Dann versuchen Sie es mit einem Haustier. Auch nicht möglich? Dann denken Sie an den Menschen, der Ihnen am geeignetsten dafür erscheint, zum Beispiel die freundliche Kassiererin in ihrem Supermarkt oder der nette Busfahrer, der immer ein Lächeln auf den Lippen hat.

 

Sagen Sie JA zu sich. Ja, ich bin so, wie ich bin. Manchmal bin ich so, dann wieder anders. Manchmal mag ich mich, manchmal nicht. Ich habe Stärken und Schwächen. Ich bin ein Mensch, mit Bedürfnissen, die manchmal erfüllbar sind, manchmal nicht. Ich bin ok so, wie ich bin. Und wenn das nicht möglich ist, dann sagen Sie JA dazu, dass es gerade nicht geht. Und wenn auch das unmöglich ist, versuchen Sie ein JA zu finden dazu, dass es gerade nicht möglich ist, JA dazu zu sagen, dass es nicht möglich ist, Ja dazu zu sagen, dass Sie sich gerade nicht annehmen können. Habe ich Sie verwirrt? So richtig durcheinander gebracht? Manchmal ist es ganz gut, dass der Verstand sich überfordert fühlt und nicht mehr mitkommt. Ich habe ja die Vermutung, dass unser Verstand im Wesentlichen für die Selbstoptimierungs-Programme zuständig ist, nicht unser Gefühl und noch weniger unser Unterbewusstsein. Vielleicht sollten wir mal die Stellenbeschreibung unseres Verstandes etwas überarbeiten und ihn dahingehend entlasten, dass es sich bei all den Veränderungsideen rund um unseren Körper und unser Verhalten nur um einige Kleinigkeiten handelt und wir in der Tiefe unseres Seins wissen, dass jeder von uns einzigartig ist und absolut richtig, genauso wie er oder sie ist.

 

Alte Rituale und neue Gewohnheiten

Alte Gewohnheiten und neue Rituale

In kritischen Situationen hilft das Gefühl von Sicherheit, manchmal aber auch, etwas ungewöhnliches auszuprobieren

Sonntagmorgen. Wie gewöhnlich sitze ich mit einem Cortado auf meinem Balkon und genieße den Blick aufs Meer. Gewohnheiten bestimmen mein Leben. Ihres vermutlich auch. Hört sich langweilig an? Ist es auch und herrlich ressourcensparend. Unser Hirn liebt alles, was irgendwie ritualisiert und gleichförmig ablaufen kann. Dabei kann es so schön auf Autopilot schalten und sich mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens beschäftigen, wie zum Beispiel Energie sparen für schlechte Zeiten. Man weiß ja nie, wann der dazugehörige Mensch das nächste Mal gedenkt, Nahrung zu sich zu nehmen, damit das Hirn seine vielfältigen, lebenswichtigen Aufgaben gut erfüllen kann. Mal im Ernst, wir wären hoffnungslos überfordert, wenn wir alles, was wir tun, jedes Mal wieder neu überdenken müssten. Wie öffnet man eine Zahnpastatube, in welche Richtung schraubt man eine Flasche zu? Was kommt zuerst: Kupplung treten, Gang einlegen, Gas geben? Schon beim Gedanken daran, was es so alles zu bedenken gäbe, würde unser Hirn nicht alles, was möglich ist, so vereinfachen, werde ich ganz schläfrig. Wir hätten neurobiologisch gesehen vermutlich gar nicht überlebt, wenn unser Gehirn nicht die Fähigkeit hätte, alles Mögliche so zu automatisieren.

Das ist gleichzeitig eine sehr gute, aber auch eine weniger gute Nachricht. Genau dieser Umstand macht es uns nämlich so schwer, Gewohnheiten zu verändern oder gar ganz abzulegen. Es kursieren verschiedene Angaben darüber, wie oft etwas wiederholt werden muss, wie lange es braucht, um etwas Neues zu etablieren. Manche Coaches und  Selbstoptimierungs-Ratgeber (wir sprachen darüber) schreiben etwas von 21 Tagen bzw. Wiederholungen. Mir scheinen die Ergebnisse einer Studie, die im „European Journal of Social Psychology“ veröffentlicht wurde, realistischer. Hier untersuchten Philippa Lally und ihr Team vom University College London, wie lang es genau braucht, um eine Gewohnheit zu ändern. Dabei wurden 96 Personen über einen Zeitraum von 12 Wochen beobachtet. Jeder Teilnehmer wählte eine neue Gewohnheit und berichtete täglich, ob er sie eingehalten habe oder nicht. Am Ende untersuchten die Forscher, wie lange jede Person gebraucht hatte, um die entsprechende Tätigkeit zu automatisieren. Das Ergebnis lag im Durchschnitt bei 66 Tagen, also mehr als zwei Monaten. Es gab allerdings starke Ausschläge. So hing die Dauer sehr von der gewählten Gewohnheit, der Testperson und den Umständen ab. Einige Testpersonen automatisierten eine Gewohnheit nach 18 Tagen, andere erst nach 254 Tagen. Das Entscheidende dabei ist wohl, dranzubleiben. Die Studie ergab sogar, dass es nicht schlimm ist, wenn zwischendurch die neue Gewohnheit auch einmal nicht eingehalten wird, es sollte nur nicht zu oft und nicht mehrmals hintereinander vorkommen.

So, jetzt können Sie sich eine schöne, neue Gewohnheit ausdenken und mal probieren, wie lange Sie brauchen, um daraus Routine werden zu lassen. Ich gestehe, dass ich auf einem guten Weg war, am Morgen 20 Minuten die Hüften kreisen zu lassen mit meinem Hula Hoop-Reifen. Nützlich für die Beweglichkeit und die Figur. Aber dann war es morgens plötzlich zu knapp, zu warm, zu kalt und der alte Brauch, so lange wie möglich im Bett zu bleiben und gemütlich in den Tag zu gleiten, hat sich wieder eingeschlichen. Aber ich werde es ab sofort wieder probieren. 66 Tage lang durchzuhalten sollte doch zu schaffen sein.

In vielen kritischen Lebenssituationen können uns Rituale übrigens auch das Gefühl von Sicherheit, von Struktur und Stabilität geben. In der Trauer kann es sehr wichtig sein, regelmäßig zum Friedhof zu gehen, das Grab zu versorgen oder eine Kerze zu entzünden. Damit fühlen wir uns den Verstorbenen nah und bleiben in Verbindung. In vielen Religionen gibt es nach festgelegten Zeitabschnitten noch einmal eine Messe, eine Gedenkfeier oder ein Zusammentreffen von Familie und Freunden. So gibt es in der katholischen Kirche das Sechswochenamt, das ist eine heilige Messe, die mancherorts traditionell sechs Wochen nach dem Tod oder dem Tag der Beerdigung eines Menschen zu seinem Gedenken gefeiert wird. Im Judentum gibt es drei verschiedene Trauerzeiten, sieben Tage, 30 Tage sowie ein Jahr nach der Beerdigung. Jede Trauerzeit wird mit unterschiedlichen Ritualen begangen. Die im Islam 40 Tage währende Trauerzeit wird durch ein Essen in der Familie, den Besuch des Grabes und dem Verteilen von Spenden beendet. Im Hinduismus ist der 13. Tag nach dem Tod besonders wichtig und markiert das Ende der Trauer, dann erreicht dem Glauben zufolge die vom Körper gelöste Seele den Himmel.

Auch in anderen schwierigen Zeiten, nach Trennungen, während oder nach schweren Erkrankungen, bei Arbeitslosigkeit, aber auch beim Eintritt in die Wechseljahre oder in die Rente, ist es wichtig für uns, Rituale zu finden, die uns helfen, Stabilität zu erhalten oder neu zu finden. Es kann beispielsweise sehr hilfreich sein, einen festgelegten Tagesablauf zu etablieren, der uns hilft Struktur zu behalten. Manchmal reicht es auch schon, wenn wir uns täglich eine bestimmte Zeit für unser inneres Wohlergehen einräumen. In dieser Zeit kann man meditieren, Musik hören, lesen oder auch Spazierengehen und die Gedanken fliegen lassen. Vielleicht fällt Ihnen auch noch etwas anderes, für Sie passendes ein.

Rituale sind oft auch ein Anlass, etwas gemeinsam mit Familie oder Freunden zu unternehmen. Ein all sonntäglicher Brunch mit den Freundinnen, der Stammtisch nach Feierabend oder ein wöchentliches Team-Mittagessen können nicht nur Spaß machen, sondern auch die Bindung zwischen den Teilnehmenden fördern. Darum ist es kein Wunder, wenn wir nach Veränderungen, wie eben dem Eintritt in die Rente, liebgewordenen Ritualen und Gewohnheiten nachtrauern. Es kann sehr schmerzlich sein, plötzlich nicht mehr dazu zu gehören, aus dem Rahmen zu fallen. Nach Trennungen stellt sich unter Umständen die Frage, wie, wo und mit wem wir ab jetzt Weihnachten verbringen wollen. Oder Sylvester, oder unseren Geburtstag. Umso wichtiger ist es dann, uns neue Rituale auszudenken und auszuprobieren, was uns erfüllt. Es kann ganz hilfreich sein, auch mal etwas Ungewöhnliches zu versuchen. Sie könnten zum Beispiel statt des klassischen Weihnachtsprogramms einfach mal an Heilig Abend ins Kino gehen und danach Indisch essen.

Mir gefällt es, Rituale meiner neuen Heimat kennenzulernen und mitzumachen. So freue ich mich schon jetzt auf den 6. Januar und den Roscón de Reyes, den Krapfen der Könige. Das ist ein feiner Kranz aus Brandteig, in den eine Bohne und ein kleiner König eingebacken sind. Sie ahnen es schon, wer den König findet, darf für einen Tag bestimmen (vor allem über den, der die Bohne hat). So werden aus neuen Erfahrungen nach und nach neue Rituale und irgendwann ganz wunderbar selbstverständliche Gewohnheiten.

 

von einer, die auszog

von einer, die auszog, ihr Glück zu finden

Warum es manchmal schwer ist, das Alte zurückzulassen, obwohl man sich auf das Neue freuen kann

Wenn die heutige Kolumne erscheint, stecke ich noch mittendrin. Mitten in einem Umzug von A nach B und wenn ich in B angekommen bin, was hoffentlich am bevorstehenden Wochenende der Fall sein wird, geht’s direkt weiter nach C. Will sagen, ich verlasse mein geliebtes Haus am Bodensee, meinen Garten, in dessen Erde ich meine wunderbaren tierischen Freunde und langjährigen Begleiter zurücklassen werde, in dem ich so manches Kräutlein gehegt und gepflegt habe, um am Ende daraus eine Tinktur zu brauen, eine Salbe zu rühren oder einen Tee zu machen, in dem ich Igeln und Schmetterlingen, Spatzen und Mäusen viele Jahre Speis und Trank offeriert habe und so meinen Beitrag zu einem natürlichen Garten leisten konnte. Manche Besucher rieten mir, ich solle doch ab und an mal Rasen mähen oder Blumen und Sträucher zurückschneiden, aber ich hängte mir gedanklich ein Schild mit der Aufschrift „Biotop – bitte das ökologische Gleichgewicht nicht stören“ an den Zaun und ließ es bleiben. Auch Karl, der grüngold leuchtende Rosenkäfer, der zuverlässig jedes Jahr immer wieder kam, wenn meine Rosen aufblühten, Libellen und ein Frosch (den ich versäumte zu küssen, so ein Ärger) fühlten sich offenbar wohl auf diesem wildromantischen Stückchen Erde.

 

Es war so heilsam, mit meinen arachnophobischen Patienten (Menschen mit Angst vor Spinnen) nach erfolgreicher Therapie im Garten selbige aufzuspüren und zu beobachten, ganz ohne Panik und Widerstand. Ich hatte auch eine eigene Schneckenzucht. Da es mir beim besten Willen nicht möglich war, die kleinen Schleimer zu töten, einigten wir uns darauf, dass ich sie allabendlich mit meinen Salat- und Gemüseresten fütterte und sie dafür meine Kräuter und Blumen verschonten. Das klappte gut, meistens jedenfalls, also manchmal, sagen wir ab und zu. Ich liebte es, bei der Gartenarbeit ein Schwätzchen über den Zaun zu halten, um mit dem Nachbarn über den besten Rosendünger oder die Geheimnisse von Brennnesseljauche zu fachsimpeln. Dabei, je nach Jahreszeit, an einem Löwenzahnstengel samt Blüte zu knabbern oder eine Erdbeere, Himbeere oder Feige (ja, ich hatte einen Feigenbaum in meinem Garten) zu naschen. Und diese Pracht für Augen und Nase. Erst kamen die Schneeglöckchen, dann die Primeln und Tulpen, später der Mohn und dann ging es Schlag auf Schlag, bis gefühlt alles irgendwie blühte und der Holunderbaum duftete als gäbe es kein Morgen. Wie gemütlich war es, bei Sommerregen, geschützt in der Pergola, in der Hängematte zu träumen oder am Abend mit Freunden um ein schönes Feuer zu sitzen, hach, ich schwärme schon wieder.

 

Aus. Vorbei. Vergangenheit. Zukünftig werde ich auf meiner Dachterrasse (C, siehe oben) Pflanzen in Töpfen kultivieren, vielleicht im nächsten Sommer auch ein paar süße Früchtchen ernten und es mir,  sollte ich mal dazu kommen, mit dem Blick auf das Mittelmeer gutgehen lassen. Dann kommt ja auch im Februar die phantastische Zeit der Mandelblüte. Darauf freue ich mich schon sehr. Im Grunde gibt es also gar keinen Anlass, wehmütig zu sein. Dennoch wird es ein großer Abschied, von Haus und Garten und natürlich meinem Umfeld, Freunden, Restaurants, Lieblingsplätzen am See und spektakulären Sonnenuntergängen auf der „hinteren“ Insel, wie der eingeweihte Insulaner sagt. Und ich werde trauern, vielleicht nicht jeden Tag, vielleicht nicht sehr tränenreich, vielleicht nicht sehr intensiv. Vielleicht aber auch doch, heute, nächste Woche oder wenn das Neue Jahr beginnt.

 

Glücklicherweise kenne ich mich mit Trauer aus und weiß, dass sie ihre eigenen Regeln hat und sich nicht daran hält, was die Trauernden so wollen oder planen. Sie kommt, bleibt für eine Weile, scheint wieder zu gehen, abzuklingen, um dann im nächsten Moment wieder wie eine Monsterwelle über uns zusammenzuschlagen. Mit der Zeit werden die Wellen dann kleiner und seltener. Wir verlieren nicht mehr so schnell den Boden unter den Füßen. An bestimmten Tagen, oft auch zu Weihnachten oder zum Jahresende kann es aber passieren, dass sich die Trauer wieder auftürmt und uns nochmal für einen Moment mit sich reißt. Überhaupt scheint das Bild von Wellen ganz gut zum Verlauf der Trauer zu passen. Es gab lange Zeit die Idee, dass Trauer einem bestimmten Phasenmodell folgt und die Trauernden alle diese Phasen mehr oder weniger intensiv durchlaufen. Dieser Ansatz ist mittlerweile überholt. Man weiß sogar, dass es schwierig sein kann, wenn Trauernde sich fragen, ob sie diese oder jene Phase schon und ausreichend „absolviert“ haben.

 

Manchmal werde ich gefragt, wie man „richtig“ trauert. Die Antwort darauf ist ziemlich simpel. Es gibt nicht richtig und falsch, jeder trauert anders. Männer, Frauen, Kinder. Und auch innerhalb der Gruppen ist der Umgang mit Trauer absolut individuell. Sogar das sonst unter Therapeuten so verpönte „Verdrängen“, kann eine sehr hilfreiche Maßnahme sein, um sich vorübergehend von den Gefühlen abzuschirmen, um vielleicht Kraft zu tanken und Luft zu holen für die nächste Trauer-Welle. Trauer erfasst uns auf allen Ebenen. Wir können uns nicht gut konzentrieren, werden vielleicht langsamer im Denken, fühlen uns ängstlich oder sind depressiv verstimmt. Der Körper reagiert mit Schlafstörungen, Herz-, Magen- oder Atemwegsbeschwerden. Unser Verhalten ist entweder ruhelos oder wir fühlen uns wie erstarrt. Manche Menschen ziehen sich extrem zurück, andere spüren eher große Wut und Aggression. Und alle diese Gefühle sind normal.

 

Überhaupt gibt es so vieles, das Trauer auslösen kann. Natürlich denkt man zuerst an den Verlust geliebter Menschen (auch Tiere) durch Tod, aber auch Trennungen oder eigene schwere Erkrankungen (Verlust der Gesundheit) und der Verlust der Heimat oder einfach ein Umzug können Trauerprozesse auslösen. Und in all diesen Situationen ist es richtig und wichtig, sich den Raum zu geben, den man braucht, um mit den Veränderungen leben zu lernen. Dies ist je nach Art und Umständen des Verlustes manchmal erst nach einigen Jahren möglich. Und manche Verluste sind so schwer, dass sie uns immer begleiten werden. Es ist, als hätte das Herz eine Wunde, über der sich mit der Zeit allmählich Narbengewebe bildet. Die Wunde schließt sich, das Herz aber wird an dieser Stelle immer besonders empfindlich bleiben.

 

In meinem Fall wird die Trauer vermutlich bald großer Freude weichen. Ich bin froh, dankbar und glücklich über viele wunderbare Erinnerungen an meine Zeit in Lindau, in meinem zauberhaften Häuschen und freue mich ebenso auf viele neue, fabelhafte Eindrücke hier auf Mallorca.